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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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führt dazu, nicht länger in sich eingeschlossen zu bleiben, sondern wieder aus sich herauszugehen und das Leben anders wahrzunehmen. Tiere können Menschen öffnen, und dies auch dann, wenn sonst nichts mehr dazu geeignet ist. »Das Herz geht auf«, und selbst introvertierte, in sich verschlossene Menschen kommen aus sich heraus und zeigen, welche Fähigkeit zur Zuwendung und Zuneigung in ihnen steckt. Die bedingungslose Beziehung zu ihrem Gegenüber, zu der Tiere bereit sind, ermuntert dazu.
    An Intensität gewinnt die Beziehung jedoch durch die Bereitschaft des Menschen, sich in das Tier hineinzudenken, die Eigenarten seines Wesens genauer kennenzulernen und darauf einzugehen; intensiver fällt dann auch die Erfahrung des Sinns im Leben aus, die an die Intensität der Gefühle für das Tier gebunden ist. Statistische Daten, wie sie beispielsweise vom Züricher Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung regelmäßig erhoben werden, zeigen, dass dieser Sinn wie ein Immunsystem wirkt: Menschen, die mit Tieren leben, sind im Vergleich zu anderen Menschen weniger anfällig für somatische und psychische Erkrankungen.
    Der geistige Sinn , der aus gedachten und gedeuteten Zusammenhängen hervorgeht, kommt vor allem durch die Teleologie zustande, die seit jeher große Bedeutung für den Lebenssinn von Menschen hat: Sie besteht darin, sich ein Wozu des Lebens, ein Ziel, einen Zweck, eine Notwendigkeit vorzustellen und dementsprechend eine Pflicht, eine Verantwortung, eine Sorge für etwas oder jemanden zu übernehmen. Jede Liebe birgt dieses Potenzial an Sinn in sich, in nicht geringem Maße aber die Liebe zu Tieren: Für ein Tier da zu sein, gibt dem Leben eines Menschen Bedeutung und hilft ihm, sich selbst als wertvoll zu erfahren. Die Selbstdefinition, die der Einzelne ansonsten mühsam für sich allein vornehmen muss, fällt in der Beziehung zum Tier leichter: »Ich bin der, der für das Tier da ist.« Der Hund führt, der Mensch folgt ihm an der Leine.
    Lebensgewissheit und Sinnfülle gehen aus dem Bewusstsein hervor, von diesem Lebewesen gebraucht zu werden, in dessen Leben eine unverzichtbare Rolle zu spielen und daher auch den eigenen Platz im Leben besser zu kennen. Menschen verdanken Tieren außerdem zwanglose Gelegenheiten, sich mit Anderen auszutauschen, denn Eigenheiten und Bedürfnisse der Tiere geben Anlass zu Gesprächen und bieten Inhalte an, während Menschen ohne Tiere oft erst mühsam gemeinsame Sujets ausfindig machen müssen. So manche interessante Begegnung, auch so manche Liebe fürs Leben hat sich bei solchen Gelegenheiten schon ganz von selbst ergeben.
    Und wie andere Beziehungen der Liebe kann die Tierliebe einen gefühlten und gedachten transzendenten Sinn über das eigene Dasein hinaus auftun, getragen von der Ahnung oder Gewissheit einer tiefen Verbundenheit mit allem Sein durch dieses eine Seiende hindurch. Friedrich der Große, der die Menschen eine »bösartige Rasse« nannte, deren liebenswertester Vertreter er selbst nicht immer war, hielt sich auch aus diesem Grund an die Gesellschaft von Tieren, denen er im Widerspruch zu seiner Zeit eine Seele zuerkannte, unsterblich wie die Seele von Menschen. Er verabscheute die Jagdund plante die erste tiermedizinische Hochschule Preußens. Auf der Terrasse seines Potsdamer Schlosses SANS, SOUCI. (die Getrenntschreibung mit Komma hebt beide Worte hervor, bekräftigt vom Punkt: Ohne Sorge. ) wollte er an der Seite seiner Hunde begraben sein, nur die Erfüllung des Wunsches ließ eine kleine Weile auf sich warten: Sein Nachfolger expedierte ihn nach seinem Tod standesgemäß in die Potsdamer Garnisonskirche, und auch aus anderen politischen Gründen musste er mehrmals mit Ausweichquartieren vorliebnehmen, bevor zwei Jahrhunderte später 1991 doch noch seinem letzten Willen entsprochen wurde, ausgerechnet von einer Demokratie, der er solche Treue und Verlässlichkeit sicher nie zugetraut hätte (Sibylle Prinzessin von Preußen, Die Liebe des Königs. Friedrich der Große, seine Windspiele und andere Passionen , 2006).
    Beziehungen zu Tieren können Zusatzbeziehungen sein: Sie erweitern spürbar das bestehende Beziehungsgeflecht zwischen Menschen und vergrößern die Variationsmöglichkeiten im sozialen Netz. Sogar zu den Kern-Beziehungen eines Menschen, die ihn im Innersten berühren, können Beziehungen zu Tieren aufrücken. Wenn sie solche Bedeutung gewinnen, werden Tiere oft wie Personen, ja, mehr noch als Personen

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