Dem Leben Sinn geben
Gründen: »Weil ich meine Katze streicheln kann.« »Weil ich mit meinem Hund reden kann.« »Weil er sich immer so freut, wenn er mich sieht.« »Weil er mich so akzeptiert, wie ich bin.« Mehr als den Menschen an seiner Seite liebt so mancher Mensch aus solchen Gründen seinen Hund: »Wenn ihn der ansieht, zerschmilzt er vor Lyrik« (Kurt Tucholsky, »Traktat über den Hund«, Die Weltbühne , 1927).
Die Nähe, das Reden, die Freude, die Akzeptanz, überhaupt der Eindruck, verstanden zu werden und Zuwendung und Zuneigung zu erfahren: Was zur Liebe animiert, ist auch hier vor allem das Gefühl, geliebt zu werden , noch dazu auf eineWeise, wie ein Mensch sich dies vielleicht von anderen Menschen wünschen würde. Jedenfalls lässt sich das Verhalten von Tieren als Erscheinungsform von Liebe deuten, wenn sie aufrichtig und treu die Beziehung zu ihren Mit-Tieren im Sinn haben, zu denen Menschen für sie vermutlich zählen, schon aus Mangel an Alternativen. Aus Dankbarkeit fühlte sich da die Jazzsängerin Norah Jones ihrerseits zu einer Liebeserklärung inspiriert, wie sie wohl noch nie ein Mann erhielt, außer eben ihr Pudel Ralph als Man of the Hour (Album The Fall , 2010):
Ich weiß, du wirst mir niemals Blumen bringen
Aber Blumen, die sterben ja nur
Und obwohl wir nie zusammen duschen werden
Weiß ich, du bringst mich auch niemals zum Weinen
Die Beziehung zu Tieren scheint von therapeutischer Wirkung für Menschen zu sein, die sich selbst mehr Pflege ( therapeia im Griechischen) angedeihen lassen, wenn sie sich um Tiere kümmern. Schon die bloße Anwesenheit von Tieren verändert das Leben: Ihre Bedürfnisse sind weniger komplex und leichter zu befriedigen als die von Menschen, und so wird das Leben wieder überschaubarer. Ihnen genügt es, wenn sie Nahrung vorfinden und ein wenig Aufmerksamkeit erfahren, die sie jederzeit überschwänglich beantworten, jedenfalls Hunde halten das so. Hunde, Katzen, Vögel, Hasen, Pferde interessieren sich nicht für schwierige Diskussionen und subtile Interpretationen, sie sind einfach nur da. Sie beurteilen Menschen nicht nach Aussehen, Ansehen, Alter, Geschlecht, charakterlichen Mängeln oder körperlichen Gebrechen. Wahrscheinlich wissen Tiere auch nichts von einer ontologischen Differenz zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit: Sie denken nicht langeüber eine gegebene und vielleicht verfehlte Wirklichkeit nach, räsonieren nicht über offene und verlorene Möglichkeiten, leben vielmehr ganz im Hier und Jetzt. Menschen beneiden sie dafür, denn dieses Paradies bleibt dem reflektierenden Tier weitgehend verschlossen.
Zusätzlich zu anderen Sinngebungen, auch ersatzweise, wenn andere Möglichkeiten ausfallen, sorgt das Leben mit Tieren für sehr viel Sinn im Leben von Menschen. Das wird bereits auf der Ebene des körperlichen Sinns der Sinnlichkeit erfahrbar: Einem Tier zuzusehen, es zu hören, zu riechen und zu streicheln, kann in diesem Moment völlig erfüllend sein. Zur Berührung, die einem anderen Menschen nicht immer gefällt und nicht jederzeit von ihm zu haben ist, sind Hund, Katze und Hase nahezu immer und überall bereit. Mühelos aktivieren Hunde, die ausgeführt werden müssen, auch den menschlichen Bewegungssinn, und dem inneren Körpersinn, dem »Bauchgefühl«, tut das Schnurren der Katze gut: Es vermittelt Behaglichkeit und wirkt heilsam, nicht nur für die Katze selbst und ihre aktuellen Verletzungen, sondern auch für den Menschen, in dessen Körper und Seele es auf ähnliche Weise Verkrampfungen lösen kann wie der niederfrequente Om -Laut fernöstlicher Meditationstechniken.
Die Sinnlichkeit des Umgangs mit Tieren gewinnt besondere Bedeutung, wenn einem Menschen mit digitalen Eskapaden die wirkliche Welt abhandenkommt: Die Liebe zu Tieren kann ihn wieder »erden«, denn Tiere sind »radikal analog«, sie stehen exemplarisch für die Wirklichkeit, von der Menschen sich entfernen können, und manch einer hofft, mit ihnen zum wahren Leben zurückzukehren und die Beziehung zur Natur wiederzufinden, die ihm im Laufe seiner Entwicklung verlorenging.
S eelischer Sinn ergibt sich aus der gefühlten Berührung und dem Berührtsein im Umgang mit Tieren. Menschen können mit ihnen fühlen lernen und gerade dann ihren Seelenraum von Neuem mit Energie füllen, wenn Enttäuschungen und Verletzungen eine große Leere hinterlassen haben. Der Beziehungssinn wird wieder wach, eine neue Freude an gefühlten Zusammenhängen mit dem Leben außerhalb des eigenen Ichs
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