Dem Leben Sinn geben
Daher kann die umfassende, unendliche Dimension für einen Menschen, der aufgrund von Nachstellungen Anderer in seiner engen, endlichen Dimension nicht mehr frei zu atmen vermag, zur Zuflucht werden. Im Psalm 23 (»Der Herr ist mein Hirte«) freut sich das Ich geradezu königlich über die Situation, in der die Zuwendung und Zuneigung des Du, die ihm und nur ihm zuteilwird, die Feinde auf eine sehr sinnliche Weise vor den Kopf stößt (in der Übersetzung Luthers): »Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.«
Die Relativierung einer scheinbar ausweglosen Situation ist jedoch nicht an den Glauben gebunden, dass da ein ansprechbares göttliches Du ist, das persönlich mit Kenntnis der kleinsten Details die Situation eines Ich aus großer Ferne zu steuern vermag. Eine Weite des Denkens und Fühlens ist auch weltlich zu erreichen, ohne Religion im engeren Sinne. Unendliche Weite ist in der Gesamtheit des menschlichen Geistes erfahrbar, überall dort, wo sich der enorme Raum der Möglichkeiten des Denkens und Fühlens auftut, in jeder Bibliothek und jeder Buchhandlung, in jedem Konzert- und Kinosaal, auch im Internet und überhaupt in aller Kunst und Kultur. DieLiebe zu Menschen und anderen Wesen, zu Tieren, Pflanzen und zur Natur insgesamt, zu materiellen und ideellen Dingen, zu aller Welt in ihrer bekannten und unbekannten Weite ist dazu geeignet, all das nach außen zu bringen, was im Inneren des Selbst zu wenig Platz hat. In ihren unterschiedlichsten Gestalten bietet die Liebe zahlreiche Möglichkeiten, sämtliche Aspekte des Menschseins zu erfahren und dem Leben wieder den Sinn zu geben, der ihm in feindseligen Auseinandersetzungen zuweilen abhandenkommt.
Von der Liebe zu Wesen und Dingen, zur Welt
Die Liebe zu Tieren und ihre Bedeutung für Menschen
Menschen leben nicht allein auf dem Planeten, der durch die endlose Nacht des Weltalls kullert, bunter als alle anderen Himmelskörper weit und breit, so weit zu sehen ist. Andere Lebewesen sind, anders als viele Menschen es wahrnehmen, ungleich zahlreicher vertreten und bevölkern nicht nur die großen Inseln, Kontinente genannt, sondern auch die riesigen Meere und die erdumspannende, hauchdünne Atmosphäre. Unbeholfener als die Tiere bewegen Menschen sich in fahrenden, schwimmenden und fliegenden Kisten, über die kein anderes Wesen auf dem Planeten verfügt, über Land, übers Wasser, durch die Lüfte und immerhin über den Rand der Atmosphäre auch ein wenig in den Kosmos hinaus. In der Nacht sind winzige Lichtpunkte zu sehen, Flugzeuge oder Satelliten, die schnurgerade über den Himmel ziehen. Weniger sichtbar sind die Ausdünstungen der Gestelle, die kein Fleckchen der Erdoberfläche und der Atmosphäre unberührt lassen. Mit ihnen verändern Menschen die Lebensgrundlagen aller Lebewesen und wirken damit zugleich auf ihr eigenes Leben zurück.
Schon aus diesem Grund besteht die Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt darin, auf alle Wesen und Verhältnisse aufmerksam zu sein, die auf irgendeine Weise für das menschliche Leben von Belang sein könnten. Aber im Prinzip steht für den Umgang mit allem, was kreucht und fleucht, wieder die gesamte Skala der Beziehungen offen und der Einzelne selbst muss wählen zwischen leidenschaftlicherLiebe, herzlicher Freundschaft, freundlicher Kollegialität oder aber einer gleichgültigen, womöglich ablehnenden und lieblos ausschließenden Haltung. Sogar eine virtuelle Beziehung ist möglich, schon von alters her: Menschen malten Bilder von anderen Wesen bereits auf steinzeitliche Höhlenwände, und die gesamte Kunstgeschichte berichtet davon, wie Menschen sich mit Tierdarstellungen und Landschaftsbildern eine überwältigende sinnliche Opulenz vor Augen führten. In moderner Zeit können Flora und Fauna vom Wohnzimmersessel aus auf Bildschirmen betrachtet werden, bis sich irgendwann, ganz wie bei virtuellen Beziehungen zwischen Menschen, die Sehnsucht nach wirklichen Erfahrungen einstellt. Sollten eines Tages mithilfe Synthetischer Biologie wirkliche Lebewesen aus virtuellem Design hervorgehen, müssten Menschen auch zu ihnen irgendeine Beziehung zwischen Liebe und Ausschluss finden.
Der Mensch aber, der anderen Wesen und der Natur mit Liebe begegnen will, vielleicht beeinflusst von der Kultur um ihn herum, muss selbst festlegen, wie er ihr nachgehen will. Am meisten verbreitet ist die Liebe zu Tieren , meist zu Haustieren, aus einfachen
Weitere Kostenlose Bücher