Dem Leben Sinn geben
stillschweigende Einverständnis mit ihrem unwürdigen Leben und die Gleichgültigkeit gegen die Art ihrer Tötung erschweren. Auf gesundheitlichen und ökologischen Überlegungen könnte die ethische Wahl beruhen, den Fleischgenuss einzuschränken oder gänzlich darauf zu verzichten: Zu viel tierisches Eiweiß und Fett schädigt den menschlichen Organismus, zu viel Methangas, das den wachsenden Rinderherden entweicht, schädigt das Klima und auf diesem Weg wiederum den Menschen. Letzten Endes aber hat jeder Einzelne seine Wahl zu treffen, kein Anderer sollte ihm einen Vorwurf daraus machen, wie sie ausfällt; schließlich beansprucht jeder Respekt für sein Verhältnis zur Natur, zu der die Tiere zählen.
D ie Liebe zur Natur und das grüne Glück
Aber was ist eigentlich Natur? Das lässt sich in der Zeit, in der es mehr denn je darauf ankommt, weniger denn je sagen. Menschen, die selbst eine Art von Natur sind, wirken auf ihre eigene wie auf die äußere Natur ein und verändern sie, die veränderte Natur wirkt auf sie zurück. Nur beim Vergleich eines gegenwärtigen Zustandes mit vormaligen Zuständen lassen sich Einwirkung und Rückwirkung messen, den eigentlichen Naturzustand zu bestimmen aber ist schwierig. Eine reine Natur ohne menschliche Einwirkung kann es auf dem Planeten Erde längst nicht mehr geben, jeder Atemzug jedes Menschen hinterlässt Spuren, erst recht aber sein Footprint , der Einsatz von Techniken auf Schritt und Tritt. Diese Einwirkung lässt sich nicht ungeschehen machen, die entscheidende Frage ist jedoch, ob sie so vorsichtig und zurückhaltend gestaltet werden kann, dass sie in ihrer Auswirkung auf die Natur und in der Rückwirkung auf den Menschen verträglich ausfällt.
Die Techniken, mit denen Menschen in der Lage sind, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu gefährden, wurden vor allem im Zuge der Modernisierung im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt, ihr Zweck war die Befreiung von der Natur . Motorisierte Gestelle verschaffen seither einer stets wachsenden Zahl von Menschen mehr Bewegungsfreiheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Nicht der Mensch allgemein, sondern der moderne Mensch hat diese selbst erfundene Mutation und Variation ins Spiel der Evolution eingeschleust, die Selektion kommt noch.
Nietzsche erkannte frühzeitig das Gefahrenpotenzial: »Hybris ist heute unsre ganze Stellung zur Natur, unsre Natur-Vergewaltigung mit Hülfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker- und Ingenieur-Erfindsamkeit« ( sic! , Zur G enealogie der Moral , 1887, III, 9). Just der Erfolg moderner Techniken ist zum Problem geworden, in erster Linie aufgrund der Energien , ohne die sie nicht gebaut und betrieben werden können: Die Verbrennung fossiler Stoffe wie Kohle und Erdöl bringt Konsequenzen mit sich, die sich im Klimageschehen deutlich abzeichnen. Im 21. Jahrhundert entscheiden Menschen mit dem Einsatz anderer Energien und schonender Techniken darüber, ob sie aus freien Stücken über die Befreiung von der Natur hinaus auch zur Begrenzung ihrer Freiheit in der Lage sind; jeder Einzelne nimmt an diesem Prozess teil.
Jeder kann sich selbst um eine Aufklärung ökologischer Zusammenhänge bemühen, um auf sie Rücksicht zu nehmen, aber warum sollte er sich die Mühe machen? Weil es letztlich um sein Leben geht. Es ist meine eigene Existenz, die mit der Beziehung zur Natur in Frage steht. Ich lebe in Zusammenhängen, die weit über mich hinausgehen, und schade daher mir selbst am meisten, wenn ich nur mich im Blick habe. Diese Einsicht trägt zum Entstehen einer ökologischen Klugheit bei, die von der Ich-Perspektive ausgeht, sie dann jedoch überschreitet, vom privaten Raum und von der begrenzten Lebenszeit hin zu den größeren Räumen der Natur und den ganz anderen Zeiträumen natürlicher Kreisläufe.
Die Lebenskunst, die auf dem Klugheitsgebot beruht, aus eigenem Interesse so umsichtig, rücksichtsvoll, vorsichtig und vorausschauend wie möglich vorzugehen, birgt in sich eine immanente Nachhaltigkeit. Die entsprechende Sorge um Nachhaltigkeit , also um Langfristigkeit, Dauerhaftigkeit, Beharrlichkeit, Belastbarkeit, Tragfähigkeit beeinflusst die Strukturen der modernen Gesellschaft und Wirtschaft. Die Moderne war zwar als Projekt selbst sehr nachhaltig angelegt, sonst hätte sie nicht so zielstrebig über zwei, drei Jahrhunderte hinweg ausgebautwerden können. Dennoch war ein Denken und Fühlen der Nachhaltigkeit kein Grundanliegen der alten Moderne: Immer musste alles »neu«
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