Dem Leben Sinn geben
guten Teil der Bedeutung von Kunst aus, schon aus diesem Grund kann sie zum Element der Lebenskunst für den werden, der sie herstellt, wie auch für den, der sie wahrnimmt.
Möglichkeiten sind es, die das Leben bereichern und ein Kunstwerk schön erscheinen lassen, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass das Leben irgendwann nur noch aus Schönem besteht. Schönheit ist kein feststehender, sondern ein stets von Neuem umstrittener Begriff, um den es in der Kunst auch dann geht, wenn er vermieden oder verneint wird: Schön erscheint das, was bejaht werden kann, auch wenn Andere es nicht schön oder gar hässlich finden. Bejaht wird es, weil Energie darin zu finden ist, eine Verdichtung von Möglichkeiten. Ein Künstler kann an seinem Werk nur arbeiten, wenn er Energie daraus beziehen kann. Der Betrachter wiederum wird von dem Werk erfasst, in dem er Energie erspürt. Von selbst geht dann der Atem tiefer, und die Versuchung wird größer, im Austausch und in der Auseinandersetzung mit Anderen aus der subjektiven Erfahrung eine objektive Wahrheit zu machen. Das Werk, das ein Mensch für schön hält, will er immer wieder sehen, ja, sogar mit ihm leben und es Anderen zeigen, sei es in Form einer Reproduktion, wie sie im Ausstellungsshop zu kaufen ist, oder des Originals, wenn es verfügbar und bezahlbar ist. Ein Leben ohne diese Liebe kann sinnlos erscheinen.
Die bejahende Beziehung zur Kunst kennt außer dem einfachen Mögen und der zugewandten Freundschaft häufig die leidenschaftliche Beziehung , die zu jeder Hingabe fähig ist, mit all den Übersteigerungen und Enttäuschungen, mit Eifersucht, Untreue und Verrat, wie sie schon von der Liebe zwischen zweien her bekannt sind. »Ich habe beschlossen, dass es in meinem Leben nur eine große Liebe geben soll: die Kunst!« schrieb Victoria Ocampo als angehende argentinische Muse und Frauenrechtlerin im Sommer 1907 an ihre Freundin ( Mein Leben ist mein Werk , Sammelband, 2010).
Den Gegensatz dazu bilden gleichgültige und verneinende Beziehungen, vorweg die lieblose funktionale Beziehung , die den Unmut vieler Künstler und Kunstliebhaber auf sich zieht, da sich mit dieser Haltung die Kunst in Massendrucken von Bildern und Kaufhaus-Hintergrundmusik vermarkten lässt. Dann doch lieber eine agonale Beziehung , eine offene Auseinandersetzung, auf die so mancher Künstler, der seine Kunst als Provokation versteht, ohnehin bewusst zielt. Schlimme Auswirkungen kann jedoch eine ausschließende Beziehung nach sich ziehen, mit der eine Kunst bedacht wird, die ärgerlich erscheint und unverstanden bleibt. Bestenfalls wird sie ignoriert, schlimmstenfalls als »entartete Kunst« eliminiert; Künstler selbst werden womöglich als »negative Elemente« gebrandmarkt und verfolgt, wie dies im Nationalsozialismus und Sozialismus geschah.
Auch eine virtuelle Beziehung zur Kunst ist möglich, wenn ihr Bedeutung zuerkannt wird, ohne eine wirkliche Beziehung zu ihr einzugehen. Jede Beziehung und Nichtbeziehung zur Kunst aber hat wiederum mit der Selbstbeziehung zu tun: Kunst ist für den Künstler wie für den, der Kunst wahrnimmt, eine Herausforderung für das eigene Selbst und ein Medium für die Arbeit daran: Bin ich dazu bereit oder schrecke ich davor zurück? In der Kunst nur die Bestärkung eigener Gefühle, Gedanken und Sichtweisen zu suchen, ist legitim, leistet jedoch Verzicht auf die Anregungen zu anderen Gefühlen, Gedanken und Sichtweisen: »So habe ich das noch nie gesehen!«
Und anstelle einer Liebe zur Kunst, meist ergänzend zu ihr, ist eine Liebe zu Künstlern möglich, zu Malern, Bildhauern, Musikern, Autoren, Schauspielern, Sängern, Tänzern, Performancekünstlern, Medienkünstlern, Fotografen, die Kunstwerke in den unterschiedlichsten Formen verfertigen. Von aufrichtiger Verehrung reicht die Liebe bis hin zum krankhaften »Stalking«, dem Nachstellen, das die dunkle Seite auch dieser Liebe ist.
Charakteristisch für die Liebe zu Künstlern ist die Bewunderung ihrer Genialität , der von ihnen verkörperten Fähigkeit des menschlichen Geistes ( genius im Lateinischen), unendlichviele Zusammenhänge zu erahnen, zu sehen, zu erkennen und selbst herzustellen. Künstler können mit ihrer Arbeit dem Leben Sinn geben, da sie alle möglichen, sinnlichen, seelischen, geistigen und transzendenten Zusammenhänge aufscheinen lassen. Das reicht bis zum Unsinn , in dem sich wirkliche Zusammenhänge auflösen und unmögliche anvisiert werden, sowie zum Wahnsinn , in dem alles voller
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