Dem Leben Sinn geben
ein Subjekt sich auf dem Umweg über ein Objekt selbst bearbeiten kann, über den Kopf, der zu frisieren ist, den Event, der zu organisieren ist, das Blech, das zu prüfen ist, den Text, der zu schreiben ist. Die Liebe zur Arbeit macht daraus ein vorsätzliches Projekt, und zur Liebe zu ihr verführen kann die Erfahrung, dass mit ihr jederzeit eine Geliebte, ein Geliebter zur Verfügung steht, hinreichend fügsam, um den Liebenden nicht zu entmutigen, hinreichend widerständig, um die Spannung der Beziehung zu bewahren. Die Liebe wird als erfüllend erlebt, wenn die Arbeit befriedigend ausfällt, und sie befriedigt am meisten, wenn sie gut und sehrgut getan werden kann, mit einer Exzellenz, die nicht identisch ist mit Perfektion. Elektronische Medien kommen der Liebe zur Arbeit entgegen, der nun rund um die Uhr an jedem Ort gefrönt werden kann. Sie leisten aber auch der vorzeitigen Erschöpfung Vorschub, die nur zu verhindern ist, wenn auch diese Liebe atmen kann, denn sie bedarf nicht nur der Anstrengung, sondern auch der Muße, die ein Atemholen erlaubt.
Arbeit macht buchstäblich Sinn , wenn mit ihr Zusammenhänge hergestellt, also etwas zusammengefügt, aufgebaut, gestaltet und umgestaltet werden kann. Und das ist letzten Endes wohl auch der Zweck aller Kunst und Kultur, die aus Arbeit hervorgeht: Den Menschen in Sinn einzuspinnen und ihn so in der Welt zu beheimaten. Darauf kommt es für jeden Einzelnen im Leben an: Eine Heimat in der Welt zu finden, um in ihr leben zu können. Mit Kunst und Kultur im engeren und weiteren Sinne kann der Sehnsucht nach Heimat nachgegangen werden. Die Sehnsucht entsteht, weil die Welt in ihrer Unüberschaubarkeit so befremdlich ist, dass ein Mensch nach einer vertrauten Nische in ihr Ausschau hält, und so abgründig, dass er nach einem sicheren Platz für sich sucht.
Die Liebe zur Heimat, zur Welt
Was ist Welt? Menschen verstehen darunter zunächst die persönliche Welt, in der sie leben, während »alle Welt« zuschaut. Welt ist außerdem ein Ausdruck für die je eigene Kultur, aus deren Perspektive andere Kulturen als »Rest der Welt« erscheinen. Und Welt ist der gesamte Planet, der mit »weltumspannenden« Problemen wie der Klimaveränderung zu schaffenhat. Aber eigentlich ist Welt alles, was in irgendeiner Weise da ist, auch unendlich weit über den Planeten hinaus, im so genannten Weltraum. »Die Welt ist alles, was der Fall ist« (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus , 1).
Eine Schwierigkeit besteht lediglich darin, dass Menschen nie endgültig darüber Bescheid wissen können, was alles der Fall ist, weder in ihrem persönlichen Umfeld noch auf dem Planeten und erst recht nicht darüber hinaus. Sie haben sich mit dem zu bescheiden, was wahrnehmbar ist, womit sie Erfahrungen machen, wozu sie Beziehungen eingehen können, was zu erforschen und worüber nachzudenken ist: All das ist Welt. Immer bleibt dabei den Wahrnehmungen, Erfahrungen, Beziehungen, Forschungen und Denkakten etwas verborgen, das sich erst im Nachhinein, nach gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnissen, als wesentlich für die Welt erweist. Vielleicht ist die Welt wie eine Kugel, auf die die Menschen blicken, egal ob von innen oder außen: Immer sind aus der jeweiligen Perspektive nur Abschnitte zu sehen, nie die gesamte Kugel. Viele halten die eigene Perspektive für die einzig mögliche, aber sie allein kann nie die ganze Wahrheit sein. Sinnvoll wäre, sich für alle anderen Perspektiven zu interessieren, um ein vollständigeres Bild zu erhalten, Grundlage für eine Beziehung zur Welt im weiteren Sinne.
Was für moderne Menschen der Fall ist, ist vor allem die moderne Welt. Andere Welten auf dem Planeten halten sie im Verhältnis zu ihrer eigenen für »exotisch«, für äußerlich und fremdartig, attraktiv nur als Reiseziele. In ihnen scheint aber noch Heimat intakt zu sein, die in der modernen Welt oft vermisst wird, Grund eines Unbehagens in ihr. Seit den Anfängen der Moderne beschleunigt sich der Prozess einer Befreiung von Bindungen und macht auch vor der Bindung an die Heimat nicht halt, die für viele Menschen an Selbstverständlichkeit verliert.
Der amerikanische Maler Edward Hopper stellt im 20. Jahrhundert die neuen, unheimlichen Landschaften der Moderne dar: Eisenbahnschienen, die die natürliche Umgebung zerschneiden; monumentale Brücken, die die heimeligen Häuser zu ihren Füßen zu Puppenstübchen degradieren; serienweise hochgezogene Mietskasernen, deren obere
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