Dem Leben Sinn geben
damit verbunden sind – es ist meine Heimat. Nichts und niemand kann sie in Frage stellen.
Die Liebe zur Heimat gibt dem Leben Sinn , von Grund auf verbunden mit körperlichen Erfahrungen, die bereits einen guten Teil des Sinns ausmachen: Heimat sehen, hören, riechen, schmecken, berühren, sich in ihr bewegen, sie in sich spüren. Die sinnliche Heimat ist erfahrbar beim Anblick eines Hauses, einer Straße, eines Platzes, eines Hains, eines Baums, eines Himmels, über den die vertrauten Wolkengebilde ziehen, einer alten Brücke, die schon das erste Rendezvous getragen hat. Heimatlich sind die charakteristischen Klänge und Geräusche, das Glockengeläut in einer christlich geprägten, der Ruf des Muezzins in einer islamisch geprägten Region, die Gerüche bestimmter Räume und verschiedener Jahreszeiten. Wohlbekannte »Heimatgeschmacksverstärker« sind die Wurst, der Käse, der Wein, das Bier der Region, der Kartoffelsalat mit Gurken, der seit Kindheitszeiten ein »Gedicht« ist, die Flädlesuppe, andernorts die Soljanka, überhaupt der Geschmack der heimischen Küche, denn auch die Liebe zur Heimat geht durch den Magen. Heimat ist dort, wo ich das typische Grün sehen und berühren kann, wirklich mit den Händen oder aus der Ferne in Gedanken (Tom Jones, The green, green grass of home , Popsong, 1966). Hier gehen meine Füße die Wege ganz von alleine, und alle Antennen in mir signalisieren: Hier bist du gut aufgehoben.
Heimat ist alles, woran mein Herz hängt, was starke Gefühle in mir auslöst und somit fern von jeder Gleichgültigkeit ist, eine reiche Quelle für seelischen Sinn. An der Seite desMenschen, den ich liebe, ist meine Heimat, egal wo das ist; ebenso im Kreis der Familie, der Freunde und Kollegen, der Wesen und Dinge, die mir viel bedeuten. Wo ich dazugehöre und somit »richtig bin«, wo ich das Leben gestalten und mitgestalten kann, dort ist meine seelische Heimat , beginnend bei mir selbst: Wenn ich mich mit mir verstehe, kann ich immer bei mir zuhause sein, egal wo ich bin, ein guter Grund für die Befreundung mit sich selbst.
Heimat ist jedes vertraute Gesicht , in das ich blicke und das mir, wenn es abwesend ist, geistig vor Augen steht. Wenn die Heimat ein Ort ist, hat die Liebe zu ihm meist damit zu tun, dass es sich um einen Ort der Liebe handelt: Wo ich liebe und geliebt werde, ist die Heimat, die ich wiederum liebe. Ähnlich wie bei anderen Lieben ist allerdings auch bei der Liebe zur Heimat Untreue möglich: Der Heimat untreu zu werden heißt, sie hinter sich zu lassen und in die Welt hinauszuziehen. Diejenigen, die zurückbleiben, schätzen es nicht sonderlich, wenn einer, der sich der Schicksalsgemeinschaft der Heimat entzieht, zurückkommt und womöglich »die Nase hoch trägt«. Und nicht nur in der Herkunftsheimat, sondern auch in der Wahlheimat wird Untreue sozial sanktioniert: Wenn ein Fremder in die Gemeinschaft der Alteingesessenen aufgenommen worden ist, soll er sich auch dazu bekennen, erst recht in schwierigen Zeiten, ansonsten werden sich ihm die Türen wieder verschließen.
Zugleich existiert Heimat nicht nur in der Sinnlichkeit und in Gefühlen, sondern auch in Gedanken , und dort vielleicht am allerstärksten. Sinn vermitteln die Vorstellungen und Erinnerungen, die als geistige Heimat erlebt werden, die Denkweisen, die einem Menschen so geläufig sind, dass er keine anderen für möglich hält, sowie die Deutungen und Wertungen, fürdie der Ausdruck einer hermeneutischen Heimat geprägt werden kann. Bücher können eine solche Heimat sein, und überhaupt alle Kunst und Kultur. Heimat ist die Welt, in der ich mich menschlich und topographisch, vor allem aber hermeneutisch auskenne, sodass ich nicht nur in realen Räumen und in Gewohnheiten wohnen kann, sondern auch in kulturellen Bedeutungen.
Heimat ist die vertraute Sprache , die ich hörend und lesend verstehe und in der ich mich sprechend und schreibend ausdrücke. Hier kann ich jedes Wort einordnen und kenne auch noch seinen Hintersinn, der anklingt und mitschwingt. Hier weiß ich, wann ein Lächeln oder ein Lachen angebracht ist und was es bedeutet. Hier kenne ich die Rituale, die immer gleichen Vollzüge, das »Brauchtum« all der Dinge, die auf diese Weise nur hier und nirgendwo sonst in Gebrauch sind. Die Heimat nistet in den feinen Unterschieden, die ein Außenstehender nicht als solche erkennt und die kein vertikales Unterscheidungsmerkmal sozialer Schichten, sondern ein horizontales Kriterium lokaler und
Weitere Kostenlose Bücher