Dem Leben Sinn geben
Liebe zum Sport mit einer Liebe zum Spiel verbunden. Beide Lieben aber haben ihren Ausgangspunkt im Bewegungssinn, wenn der Sport mit körperlicher Bewegung einhergeht, wie etwa bei Ballspielen, und beide Lieben stärken den seelischen Sinn, insofern sie starke Gefühle freisetzen, wie dies bei allen Arten von Spielen geschieht. Beide Lieben beschäftigen zudem den geistigen Sinn, insofern es um taktische und strategische Fragen geht, insbesondere beim Schachspiel.
In vielen Ländern sind viele Menschen in besonderem Maße der Liebe zum Fußball verfallen, der für sie der Inbegriff des Lebens ist, sodass sich mit ihm eine leidenschaftliche Liebe zum Leben verwirklichen lässt. Alle Hingabe, auch alle Hinnahme konzentriert sich auf das Spiel mit dem Ball, das zu einem Element der Lebenskunst wird (Alex Bellos, Futebol. Fußball: Die brasilianische Kunst des Lebens , 2002). Spiele zu gewinnen ist dann der Sinn des Lebens, sie zu verlieren reißt einen Abgrund an Sinnlosigkeit auf (Eduardo Sacheri, Warten auf Perlassi , Roman, 2010).
Die eigenartige Spannung des Fußballspiels resultiert jedoch nicht allein aus der Frage von Sieg oder Niederlage, sondern aus dem Wechselspiel der Gefühle auf dem Weg dorthin, diesem übergangslosen Hin- und Hergerissensein zwischen Hoffen und Bangen, Freude und Ärger, Triumph und Enttäuschung, Genugtuung und Wut. Der Reiz des Spiels sind die heftigen energetischen Wellenbewegungen, die die Energien der Beteiligten immer von Neuem aufpeitschen, auf dem Spielfeld selbst wie auch abseits davon. Und erneut kommt es nicht nur auf die sinnliche und seelische, sondern auch auf die geistige Ebene des Sinns an: Gedanklich unendlich ausdeutbar zu sein, macht die immense Wollust des Fußballs aus; ihr Ursprung ist die Macht des Lebens selbst. Nur dann, wenn kein Wechselspiel der Gefühle und keine Deutung mehr möglich ist, ist das Ende nahe: Der Feind des Fußballs wie der Liebe ist das Unentschieden, bei dem sich nichts mehr bewegt.
Eine große Liebe, konterkariert vom Hass Anderer, wird in der Moderne auch dem unablässig umfangreicher werdenden Bereich der Technik zuteil, vor allem den Techniken von Verkehr und Kommunikation. Entwickler wie auch Nutzer investieren enorme Energien in die Liebe zum Auto , die nur miteiner großen Selbstliebe erklärbar ist: Das Auto verschafft dem Selbst, dem eigentlichen Auto ( autos im Griechischen) eine beträchtliche Reichweitensteigerung. Mit seiner Hilfe kann es jederzeit fast jeden beliebigen Ort erreichen und alle Welt bereisen, ohne sich selbst übermäßig zu bewegen. Andere sind zu beeindrucken: Im Auto sieht das Selbst äußerlich gut aus, sein Inneres ist allenfalls am Fahrstil erkennbar. Manchen überkommen sogar erotische Anwandlungen angesichts des geformten und lackierten Blechs, wie einst einen Autotestfahrer: »Ein Geschenk Gottes! Eine Geliebte aus Stahl!« Das Autoglück besteht darin, sich auf jede Weise im Auto und mit ihm wohlzufühlen. Dabei ist es im Grunde ein eigenartiges Gestell, ein verdoppeltes Fahrrad, eine Brücke auf vier Rädern, die Vorderräder mit leichten Handbewegungen verstellbar, die Hinterräder bequem von einem Motor angetrieben. Im 21. Jahrhundert nähert sich das Gefährt immer mehr seinem Begriff, indem es automatisch , also selbsttätig zu fahren beginnt und so das Selbst des Fahrers endgültig technisch perfektioniert.
Übertroffen wird die Autoerotik nur noch von der überbordenden Liebe zum Smartphone , das als Minicomputer zum ständigen Lebensbegleiter des Menschen wird. Herkömmliche Liebesbeziehungen ersetzt es ohne Weiteres, auch wenn es vordergründig ihrer Organisation dient: »Schatz, ich bin gleich da!« Bereits der Siegeszug des gewöhnlichen Mobiltelefons wäre undenkbar gewesen ohne seinen elementaren Beitrag zur Lebensbewältigung und Lebensgestaltung. Folglich stellen sich Entzugserscheinungen ein, wenn auch nur eine Stunde ohne dieses Ding zugebracht werden muss, das die Nabelschnur zu aller Welt darstellt, da es jederzeit die existenziell wichtigen Verbindungen zu Anderen sicherstellt.
Jeder Griff zum Smartphone ist eine Suche nach Sinn, nachZusammenhang und Verbindung mit Anderen. Jede Neuerung erweitert noch dazu die Möglichkeiten des Herumspielens, sodass keine Langeweile im Leben mehr aufkommt. Immer noch eine Anwendung, »Applikation«, kurz App , ist anzutupfen und herbeizuwischen, für die Generation der Tupfer und Wischer eine Leidenschaft, deren erotischer Touch sich dem
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