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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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immer? Gerade in der historischen und persönlichen Situation, in der Familie vielfach verloren und verlassen werden kann und ein Leben ohne sie möglich ist, tritt ihre Bedeutung deutlicher hervor.
    Familie ist ein Ort der Geborgenheit , an dem gewöhnlich nichts zu befürchten ist, ein Wohnraum der Seelen, die wechselseitig auf ein großes Wohlwollen vertrauen können. Mit Deutungenund Interpretationen entsteht der hermeneutische Raum der Familie, in dem gemeinsame Sichtweisen des Lebens und der Welt zur Vertrautheit beitragen. Der reale Raum der Familie, in dem alle sich bewegen können, wird mit diversen Gegenständen strukturiert. Gewohnheiten und Rituale verleihen dem gemeinsamen Raum auch eine zeitliche Struktur und schaffen den Rahmen, in dem das individuelle Leben eingerichtet werden kann – mit zyklisch wiederkehrenden Ritualen des Tages (Tagesabläufe, Essenszeiten) und des Jahres (Festtage, Urlaubszeiten) sowie Ritualen zu Anfängen, Wende- und Endpunkten des Lebens (anregende Beobachtungen hierzu in: Volker Wieprecht und Robert Skuppin, Das Lexikon der Rituale , 2010).
    Je ungewisser die Verhältnisse der äußeren Welt, desto stärker das Bedürfnis, sich in diesen Kokon von Abläufen einzuspinnen, in denen jeder sich aufgehoben fühlen kann. In der großen, unübersichtlichen Welt, die verlockend, aber auch bedrohlich erscheint, ist die Familie der Bau einer kleinen, überschaubaren Welt, ausreichend in sich geschlossen, um vor äußeren Bedrohungen zu schützen, ausreichend in sich differenziert, um Bewegung und Abwechslung zu ermöglichen. Sein ganzes Leben lang kann der Einzelne von diesem Raum aus aufbrechen und zu ihm zurückkehren: Hier sind Menschen, die meine Geschichte kennen und ich ihre, die vieles mit mir erlebt haben und ich mit ihnen, Menschen, die sich aufrichtig für mich interessieren und ich mich für sie, die mir helfen und ich ihnen. Immer ist da jemand, der ansprechbar ist und wissen will, was ich erlebt habe, was ich mache, was ich vorhabe. Was unter anderen Bedingungen unerwünschte soziale Kontrolle wäre, wird nach vielen Befreiungen zur wünschenswerten Ressource. Zuweilen ist die Familie ein Irrenhaus, aber es lässt sich gut darin leben. Und wenn sie zur Hölle wird? Dann steht modernen Menschen die Möglichkeit der Trennung zur Verfügung – außer den Kindern.
    Familie ist jedoch auch ein Ort der Auseinandersetzung , hier ist reichlich Gelegenheit dazu, ohne schon gleich unkalkulierbare Konsequenzen befürchten zu müssen. Gegensätzliche Interessen und Meinungen machen sich bemerkbar und toben sich aus. Der Wunsch liegt nahe, sich all den Ärger zu ersparen, aber wozu soll das gut sein? In der Auseinandersetzung mit Anderen und der Abgrenzung gegen sie lernt jeder seine Vorlieben und Abneigungen, die Gründe für und gegen seine Meinungen besser kennen und findet zuverlässiger zu sich und zur Definition seiner selbst. Jede heftigere Auseinandersetzung beantwortet die Frage, ob die Beziehung verlässlich und ernstgemeint ist und auch in der Gefahr noch Bestand hat. Durch alle Auseinandersetzungen hindurch ist der aufmerksame Umgang mit Macht zu erlernen, Macht verstanden als Möglichkeit zur Einflussnahme auf etwas oder jemanden: Wer hat welche Möglichkeiten dazu? Ist eine Wechselseitigkeit möglich oder hat immer nur einer »das Sagen«? Welche Selbstmächtigkeit brauche ich, wie kann ich sie gewinnen, um eine Dominanz Anderer und ebenso eine eigene zu begrenzen?
    Als Gesellschaft im Kleinen, in der so manches versammelt ist, was die große Gesellschaft ausmacht, ist die Familie ein komplexes Geflecht von Machtbeziehungen, und auch hier stellen sich Fragen der Gerechtigkeit , um die Macht auszutarieren: Ist die Verteilung der Zuwendung und Zuneigung, der Aufmerksamkeit füreinander und der Sorge umeinander gerecht? Sind die Arbeiten, die anfallen, um materielle Mittel zu erwirtschaften und den Alltag zu organisieren, fair aufgeteilt? Und wenn nicht, was wäre dafür zu tun und von wem? »Menschen führen innerlich Buch« hierüber (Helm Stierlin, Gerechtigkeit in nahen Beziehungen , 2006, 13).
    In allen Belangen ist Familie ein Ort des Lebenlernens , ein Übungsfeld der Lebenskunst. Jeder führt sein Leben vor den prüfenden Augen der Anderen und nimmt wahr, wie sie ihr Leben bewältigen. Jeder registriert und beurteilt für sich, was der jeweils Andere für wichtig und unwichtig hält, woran er sein Leben orientiert, wie er auf Herausforderungen antwortet und nicht

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