Dem Leben Sinn geben
Bedeutung ist (Horst Petri, Väter sind anders , 2004; Dieter Thomä, Väter. Eine moderne Heldengeschichte , 2008).
Wie die Vaterliebe ist die Mutterliebe eine Angelegenheit von Natur, Kultur und individueller Interpretation. Lange Zeit galt sie als naturgegebener Instinkt , dem zuwiderzuhandeln soziale und juristische Sanktionen nach sich zog, auch als kulturelle Pflicht , die selbst diejenigen zu erfüllen hatten, die kein mütterliches Gefühl in sich verspürten. Ein genetisch oder auch nur situativ bedingter Mangel des Hormons Oxytocin reicht aber für eine »postpartale Bindungsstörung« von mehr oder minder langer Dauer aus. Zugleich kann die menschliche Art, Mutter zu sein, die sich in einem langen, vorgeschichtlichen Prozess herausgebildet hat, die einzelne Mutter leicht überfordern. Seit jeher stehen ihr daher Allomütter , andere Frauen, mit Rat und Tat zur Seite (Sarah Blaffer Hrdy, Mütter und Andere , 2010).
Für moderne Mütter wird daraus eine Frage der Selbstorganisation, und auch Männer könnten sich häufiger als Allomütter verstehen, statt immer neue Ansprüche an die »Mütterlichkeit« zu stellen, bestärkt von Psychologen, die der Mutterbindung die alleinige Verantwortung für die Entwicklung des Kindes zuweisen: Lange genug wurde Müttern alleinEinfühlung, Mitgefühl und Fürsorge zugeschrieben und ein Verzicht auf eigene Rechte und Freiheiten abverlangt, um bedingungslose Geborgenheit zu geben und sich geradezu für ihre Kinder aufzuopfern. Es ist aber Sache der Frauen selbst, gemeinsam und individuell die Idee der Mutter zu definieren, um die Mutterliebe immer wieder neu zu finden und zu erfinden. Mit der Unmöglichkeit, äußeren Normen gerecht zu werden, nehmen ansonsten innere Schuldgefühle und Selbstvorwürfe überhand, die weder Müttern noch Kindern guttun. Allzu anspruchsvolle Vorstellungen treiben Versagensängste hervor, und die Bereitschaft, ganz für die Kinder da zu sein, begünstigt die Abhängigkeit von einem Ernährer, der dann womöglich auf Distanz geht, um seine eigene Freiheit nicht zu verlieren (Yvonne Schütze, Die gute Mutter. Zur Geschichte des normativen Musters »Mutterliebe« , 1986; Elisabeth Badinter, Die Mutterliebe , 1981).
Gemeinsam ist der Vater- und Mutterliebe, dass sie entgegen einer verbreiteten Auffassung nicht allein von Gefühlen abhängen muss, sondern eine Entscheidung und bewusst gewählte Haltung sein kann, aus der ein großes Wohlwollen hervorgeht, wie bei anderen Arten der Liebe. Das ermöglicht, auch dann bei den Kindern zu bleiben, wenn die Gefühle aussetzen und die Beziehung schwierig wird, sowohl zwischen den Eltern als auch zwischen Eltern und Kindern. Die individuelle Haltung bildet den Kern der elterlichen Ethik , die das Leben mit Kindern bejaht und in der Sorge für sie ihren Ausdruck findet, manchmal ängstlich, immer fürsorglich. Grundsätzlich kann die Eltern-Kind-Beziehung, wie alle Beziehungen, verschiedene Formen annehmen, mit Ausnahme einer virtuellen Beziehung, die es zu Kindern nur geben kann, wenn ihr eine reale Beziehung vorausgeht. Möglich, aber selten ist die funk t ionale Beziehung am Rande der Gleichgültigkeit, zu der die wenigsten Eltern in der Lage sind, jedenfalls bei ihren eigenen Kindern. Lediglich im Zustand der Verzweiflung kann es zu einer ausschließenden Beziehung kommen: »Ich will dich nie mehr sehen!« Wer so weit geht, will vermutlich eine agonale Beziehung beenden, die zwar fern von jeder Gleichgültigkeit war, aber von unerträglichen Auseinandersetzungen durchzogen wurde.
Größerer Beliebtheit erfreut sich die kooperative Beziehung, die sich schon in den Jahren zwischen Trotz und Pubertät einstellen kann, sowie die freundschaftliche Beziehung, die sich in vielen Fällen von selbst ergibt, wenn die Kinder erwachsen sind: Im Laufe der Jahre werden sie »immer mehr zu den Leuten, mit denen du am allerliebsten zusammen bist«, sagt der alternde Bob zur jungen Philosophin Charlotte (Bill Murray und Scarlett Johansson in Lost in Translation , Regie Sofia Coppola, USA/Japan 2003). Häufig ist sogar eine leidenschaftliche Beziehung möglich, Liebe in ihrer stärksten und reinsten Form.
Der Traum von einer romantischen Liebe erfüllt sich am ehesten in der Beziehung zu Kindern, die bedingungslos geliebt werden können, ohne jedes Kalkül, mit einer unvergleichlichen Intensität der Hingabe , vor allem bei kleinen Kindern. Die Liebe zu ihnen erfordert zuweilen ein wenig Zurückhaltung, um nicht
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