Dem Leben Sinn geben
ist zu interpretieren und zu diskutieren, was das Kind braucht, was ihm fehlt, was zu tun und zu lassen ist. Sobald es sich zappelnd, dann krabbelnd selbst bewegen kann, ist die ständige Frage: Wo ist es, was macht es? Das Kind ist nicht nur sinnerfüllend, sondern auch anstrengend, nicht nur ein niedliches, kleines Wesen, sondern auch eines, das seine Bedürfnisse lautstark artikulieren und unnachsichtig Befriedigung fordern kann.
Dass vielen Müttern jetzt alles unwichtig erscheint, was nicht mit der Sorge für das Kind zu tun hat, ist eine Folge hormoneller Veränderungen; mit oder ohne Grund fühlen sie sich dabei oft mangelhaft unterstützt. Viele Väter wiederum sind jetzt von der Sorge um die materielle Absicherung der Familie umgetrieben, sehen sich selbst aber nicht selten vernachlässigt, insbesondere was die nachrangiger werdende Rolle der Sexualität angeht. Bevor die Eltern danach fragen, wie sie ihre Beziehung wieder genießen können, tun sie erst einmal gut daran, sich bei möglichst vielen Arbeiten abzuwechseln, um den jeweils Anderen zeitweilig zu entlasten. Liebesdienste füreinander reduzieren sich bis auf Weiteres darauf, dem Anderen die Atempausen zu verschaffen, in denen sie oder er der dringend nötigen Selbstsorge nachgehen kann, um die Kräfte für die Zuwendung und Zuneigung zum Kind zu regenerieren.
Dann erst kommen die Monate und Jahre, die der üppige Lohn der Mühe sind: Mitzuerleben, wie das kleine Wesenkriechend, gehend, rennend sich und die Welt entdeckt, wie aus einem Schwall von Lauten Sprache wird und das entstehende eigene Denken zu verblüffenden Schlüssen führt. Aber das Kind muss auch durch viele Krankheiten hindurch, um Widerstandskräfte zu entwickeln, und unweigerlich die Eltern mit ihm. In Trotzphasen muss es seinen Willen entdecken und am besten beizeiten schon die Erfahrung machen, dass es an Grenzen stößt, wenn die Durchsetzung des eigenen Willens zum Terror für Andere wird (Remo H. Largo, Babyjahre , 1993; Kinderjahre , 1999).
Familie mit Kindern bedeutet zwangsläufig Familienstress . Kurzzeitiger Stress belebt, anhaltender Stress macht krank und untergräbt Beziehungen, denn die Schwächen der Beteiligten treten stärker hervor, die Nachsicht füreinander schwindet, wechselseitige Vorwürfe häufen sich (Guy Bodenmann, Stress und Partnerschaft , 2004). Stress , vom lateinischen distringere und englischen distress für Beanspruchung, Anspannung, Enge, Druck, kommt aus diversen Gründen zustande:
1. Die Anforderungen sind zu hoch und die anstehenden Arbeiten werden nicht gut gekonnt. Aber ein Können lässt sich erwerben und verbessern durch Austausch von Erfahrungen mit Anderen, durch Aus- und Weiterbildung, durch Seminare und Lektüre von Fachbüchern.
2. Das, worum es geht, wird nicht alleine gekonnt, also ist es sinnvoll, Anderen die Situation zu schildern, gemeinsam mit ihnen nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und Hilfsangebote anzunehmen. Ansonsten droht die Gefahr, in der Überforderung unterzugehen.
3. Zu wenig Zeit steht zur Verfügung, ständig ist zu viel auf einmal zu tun, aber vielleicht lassen sich die Dinge in eine zeitliche Abfolge bringen, um sie nacheinander zu tun, dasUnaufschiebbare zuerst. Ist zu viel Zeit für vergessene und verlegte Dinge aufzuwenden, hilft eine bessere Organisation.
4. Zu wenig Raum steht zur Verfügung, aber vielleicht lässt sich die räumliche Aufteilung ändern, damit die Nähe nicht zum Zwang wird und die Wege sich nicht ständig überkreuzen. Die wachsende Familie bräuchte mehr Raum, aber dafür müssen die Mittel erst erwirtschaftet werden.
5. Zu wenig Kraft steht zur Verfügung, aber dafür gilt: Wo auch immer die Kräfte verausgabt werden, inner- oder außerhalb der Familie – auf keinen Fall sollte ihre Regeneration vernachlässigt werden. Eine nie versiegende Kraftquelle ist das Schöne im Sinnlichen, in Gefühlen, Gedanken und Begegnungen; daher die Frage an sich selbst: Was ist für mich schön? Und eine beständige Kraftquelle ist der Sinn, der aus Zielen und Zwecken resultiert; daher die eigene Klärung: Wofür mache ich das?
Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern hat ihre eigene Geschichte , aus der heraus die Gegenwart verstanden werden kann (Johann August Schülein, Die Geburt der Eltern , 1990). Lange galten Kinder nicht als eigenständige Wesen, sondern als Eigentum der Eltern, die beliebig über sie verfügen konnten. Die große Anzahl von Kindern in einer Familie und die Erfordernisse
Weitere Kostenlose Bücher