Dem Leben Sinn geben
Bis in die Moderne hinein war bereits die Geburt mit Risiken für das Leben von Mutter und Kind verbunden, die Kindersterblichkeit war hoch, und eine Familie mit vielen Kindern ernähren zu müssen, war ein absolutes Armutsrisiko. In fortgeschrittener moderner Zeit besteht das Risiko darin, das eigene Leben einer unwägbaren Veränderung auszusetzen, Beruf und Familie nicht gut miteinander vereinbaren zu können, zumindest teilweise auf Einkommen und Karriere verzichten zu müssen,und viele Alleinerziehende sind noch dazu von einem relativen Armutsrisiko bedroht.
Von Vorteil ist, wenn Eltern je nach individuellen Möglichkeiten und familiären Notwendigkeiten Erwerbsarbeit und Familienarbeit untereinander aufteilen können. Die Elternliebe kann besser atmen , wenn sich Spannungen zuhause mit einer spannenden Erwerbsarbeit, Spannungen am Arbeitsplatz mit einem anders spannenden Zuhause ausbalancieren lassen. Mehr Flexibilität wird ermöglicht von Arbeitszeitregelungen, betrieblichen und staatlichen Angeboten zur Kinderbetreuung. Eine Familienpolitik »von oben«, die das nicht im Blick hat, zielt vergeblich auf eine Verbesserung unzureichender Geburtenraten. Letztlich ist ohnehin die Familienpolitik »von unten« entscheidend, die individuelle Bereitschaft zur Familie, mit der Männer mehr als Frauen Schwierigkeiten zu haben scheinen: So mancher will lieber »das Leben noch genießen«, sich nicht nerven lassen vom »Baby-Geschrei« und ein Leben frei von solchen Pflichten führen. Man müsse »zu viel aufgeben von sich« und das doch nur dafür, dass sich dann »alles nur noch ums Kind dreht«, das man sich schon rein finanziell »gar nicht leisten kann« (Dieter Thomä, Eltern. Kleine Philosophie einer riskanten Lebensform , 1992).
Schon vor ihrer Geburt, ja, lange vor ihrer Zeugung sind Kinder ontologische Katalysatoren . In ihnen verdichten sich Möglichkeiten , Vorstellungen, Wünsche, auch Befürchtungen, die die potenziellen Eltern dazu veranlassen, ihre eigene Wirklichkeit und die der möglichen Kinder zu überdenken. Lassen die Kinder dann den Zustand der Möglichkeit hinter sich, verteidigen sie ihre entstehende Wirklichkeit vom Moment der Zeugung an impulsiv: Der Embryo, der sich in die Gebärmutterschleimhaut einnistet, überlistet das mütterliche Immunsystem,bevor die Körperabwehr ihn als Fremdkörper erkennen kann. Um mehr nährstoffreiches Blut in die Plazenta zu lenken, erhöht er mit Substanzen, die den Genen des Vaters entstammen, den Blutdruck der Mutter (Forschungen David Haigs zum »Imprinting«, Current Biology , 2008). Schon aus diesem Grund ist die Schwangerschaft nicht immer das harmlose, harmonische Geschehen, das der Anblick eines sich rundenden Bauches vermittelt. Wenn das Kind »unterwegs ist«, erst recht, wenn es »da ist«, verwandelt es von einem Moment zum anderen alle Wirklichkeit um sich herum, versperrt Möglichkeiten und eröffnet andere. Mit magischer Kraft zieht es sämtliche Aufmerksamkeit auf sich und ordnet das Leben um sich herum neu.
Die Eltern erleben hautnah mit, wie dieses komplexe Wesen namens Mensch entsteht, erst verborgen im Mutterleib, dann direkt vor den eigenen Augen. Wer im Leben noch nicht staunen gelernt hat, kann jetzt nicht mehr anders. Schon aus diesem Grund kann zwischen Eltern und Kindern eine starke Bindung entstehen, äußerst sinnerfüllend. Aber sie bringt auch Einschränkungen der Freiheit mit sich, die einschneidender ausfallen als bei der Liebe zwischen zweien, die jetzt auf eine harte Probe gestellt wird: Von Stund an gilt die Sorge immer und überall dem Kind, das in jedem Augenblick Ansprüche geltend macht, die so existenziell sind, dass es unmöglich ist, sich ihnen zu entziehen.
Ohne Unterlass für das Kind da sein zu müssen, kaum noch ausruhen zu können, beeinträchtigt die Gemeinsamkeit der Eltern spürbar, sie haben kein Leben mehr für sich allein oder zu zweit. Nicht selten kommen Paare nicht damit zurecht, dass sie nicht mehr im selben Maße wie zuvor füreinander da sein können, gerade jetzt, wo es doch am nötigsten wäre (GabrielePeitz und Andere, Paare werden Eltern , 2002). Die intime Nähe schwindet ausgerechnet in dem Moment, in dem die Energie früherer Leidenschaft in inkarnierter Gestalt zwischen den Eltern liegt. Insbesondere in den ersten Tagen, Wochen und Monaten müssen Nächte durchwacht und lästige neue Arbeiten bewältigt werden: Kein Weg führt daran vorbei, mehrmals am Tag an Windeln zu schnüffeln. Endlos
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