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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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letzten Endes weiterführen. Ihre Zurückhaltung im Erziehungsprozess zeitigt letzten Endes eine größere erzieherische Wirkung als die unmittelbare elterliche Einflussnahme. Die entstehenden kindlichen Auffassungen davon, was schön und bejahenswert ist, die Wertvorstellungen, die sich daraus ergeben und auf lange Sicht für Orientierung sorgen, werden gerade von denen beeinflusst, die den Einfluss nicht offen anstreben und schongar nicht offensiv beanspruchen. So können die Großeltern zu Vorbildern werden, ohne es unbedingt sein zu wollen.
    Wie jede Liebe vermittelt auch die zwischen Großeltern und Enkeln eine enorme Erfahrung von Sinn , und der Prozess der Sinngebung ist wechselseitig. Bereits der Sinn aus körperlicher Sinnlichkeit prägt sich den Enkeln tief ein: Wie gemütlich es bei den Großeltern aussieht, wie heimelig die Dielen knarren, wie es bei ihnen riecht und wie alles, was zuhause ungenießbar erscheint, hier schmeckt – eine märchenhafte Welt, die für immer unvergesslich bleibt! Die Großeltern ihrerseits können dem heranwachsenden Leben in Gestalt der Enkel nahe sein und es in den Arm nehmen. Noch einmal erleben sie, unterstützt von Hormonen wie damals, als sie selbst Eltern wurden, die Entwicklung des Lebens mit seiner anfänglichen Unbefangenheit und erwachenden Neugierde, das beste Anti-Aging-Programm, das sich denken lässt (Birgit Jackel, Enkel und Großeltern , 2010).
    Auf seelischer Ebene ist es die gefühlte Wärme , die Sinn spendet: Sie ergibt sich aus überwiegend positiven Gefühlen und ist für beide Seiten weniger als im alltäglichen Zuhause von momentanen Launen abhängig, weniger auch von Auseinandersetzungen beeinträchtigt. Die Enkel müssen um diese Beziehung nicht fürchten, nicht bei schlechten Schulnoten und nicht bei strittigen Lebensentscheidungen. Mit großer Beständigkeit sind die meisten Großeltern großzügig, liebevoll, gastfreundlich, humorvoll und tolerant, jedenfalls werden sie von den Enkeln so wahrgenommen und zuweilen idealisiert, um ein Gegenbild zur gewöhnlichen Wirklichkeit vor Augen zu haben.
    Mit erfundenen, nacherzählten und selbst erlebten Geschichten stellen Großeltern auch gedanklichen Sinn her. Kinder sind besonders neugierig auf Erzählungen von »damals«, undsolange sie ihnen nicht aufgedrängt werden, können sie endlos wiederholt werden: »Erzähl mir von früher!« In den erzählten Geschichten wird Vergangenheit lebendig, sie wecken bei den Enkeln das Bewusstsein für ihre Herkunft, nicht nur familiär, sondern auch historisch. Die Großeltern verknüpfen die »kleine« Geschichte der Familie mit der »großen« Geschichte zurückliegender Zeiten, die sie zumindest teilweise selbst erlebt haben. Mit Erzählungen aus ihrer Kindheit und aus der Zeit, als die Eltern der Enkel selbst noch Kinder waren, vergegenwärtigen sie sich die Zusammenhänge ihres Lebens und schwelgen in Nostalgie. Mit dem Blick auf das gesamte Leben können sie momentane Geschehnisse besser einschätzen, Situationen und Probleme der Gegenwart vor diesem Hintergrund stärker relativieren. Großeltern können vieles verstehen, da sie selbst vieles erlebt haben, schon aus diesem Grund erscheinen sie weise. Sie selbst waren nicht immer die Muster des Verhaltens, zu denen die Eltern die Kinder erziehen wollen, und auf den Unsinn, den sie einst machten, sind sie im Rückblick nicht wenig stolz. Mit den Großeltern können die Enkel außerdem so manches besprechen, was mit den Eltern schwierig ist, wenn es um heikle Dinge geht. Ganz zwanglos geschieht das, ohne jede Zudringlichkeit und unter Wahrung der Diskretion, um das allzu Intime für sich zu behalten. Die Gespräche können offen sein, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Alle Gespräche tragen wiederum zur Sinngebung bei, denn ein Sinn-Zusammenhang entsteht allein schon dadurch, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt.
    Wie von selbst öffnen die Großeltern schließlich den Horizont für transzendenten Sinn . Mit dem Blick füreinander fühlen sich die Generationen dem großen Zyklus des Lebens näher, denn zwischen dem werdenden Leben, das die Enkel sind,und dem vergehenden, das die Großeltern repräsentieren, schließt sich der Kreis. Eine Fülle von Sinn ergibt sich daraus, sich eingegliedert zu sehen in diesen umfassenden Zusammenhang, in die Unendlichkeit des in sich kreisenden Lebens: Das Leben ragt nicht mehr in ein Nichts hinaus, und für diese unvergleichliche Erfahrung ist nicht die häufige

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