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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Begegnung, sondern die stille Präsenz füreinander im Hintergrund entscheidend. Die Großeltern gewinnen ein Bewusstsein dafür, dass das Leben nach ihnen weitergeht, ohne dass es dafür einer Metaphysik bedürfte: Im Gedächtnis der Enkel werden sie weiterleben. Den Enkeln rückt die Einsicht näher, dass ein Leben irgendwann zu Ende geht, auch wenn die Vergänglichkeit jetzt so fern erscheint, als wäre sie an die Älteren und Alten gebunden und könne dem eigenen Ich nie widerfahren. Und wohin gehen die Großeltern, wenn sie sterben? Das beschäftigt alle Kinder, für die dieser Abschied meist die erste Begegnung mit dem Tod ist. Als der Großvater gestorben ist, bekommt der sechsjährige Cenk zu hören, es verhalte sich mit einem Menschen ganz ähnlich wie mit den Aggregatzuständen des Wassers: Was zunächst in starrer Form Eis ist, setzt sich mit der Erwärmung in Bewegung und beginnt zu fließen und zu leben. Beim Erreichen der Siedetemperatur aber bilden sich Wasserdampfblasen, die nach oben steigen und das Wasser in unsichtbares Gas verwandeln. Messerscharf schließt Cenk, sein Großvater müsse also »verdampft« sein ( Almanya , Regie Nesrin und Yasemin ¸Samdereli, Deutschland 2010).
    Nur wenige Menschen haben, wie Umfragen zeigen, schlechte Erfahrungen mit den Großeltern gemacht, jedenfalls in der Erinnerung ist das so. Die Großelternliebe kann so intensiv sein, dass sie einen wirklichen oder vermeintlichen Mangel an Elternliebe ausgleichen kann. Zur schwierigen Liebe kann sie jedoch werden, wenn es für die Großeltern zum schmerzhaften Prozess wird, das Leben hinter sich lassen zu müssen. Das Leiden am Älterwerden beginnt sich auf die Haltung zum Leben und das Verhalten im Umgang mit den Jüngeren und Jüngsten auszuwirken: Die Beziehung ist nicht mehr frei vom Lebensneid, wenn der Blick auf die Enkel fällt, die das Leben mit einem unabsehbar weiten Horizont von Möglichkeiten, dessen Grenzen kaum absehbar sind, noch vor sich haben, während das eigene Leben zu Ende geht. Geradezu »ungenießbar« werden Großeltern, wenn sie aufgrund ihrer Erfahrungen die einzig mögliche Wirklichkeit zu kennen glauben und anhand dieses Maßstabs die Abweichungen der nachwachsenden Generation in Weltsicht, Verhalten, Kleidung und Haarschnitt messen und beurteilen. Nicht immer verfügen Großeltern über ein großes Zutrauen zur gegenwärtig sich entwickelnden Welt und ihren Möglichkeiten, während die Heranwachsenden ganz selbstverständlich ihre angestammte Heimat darin sehen.
    In der Beziehung zwischen Eltern und Großeltern sind Konfliktherde angelegt, die auch die Beziehung zu den Enkeln beeinträchtigen können. Die Großeltern fühlen sich gebraucht, wenn sie den Eltern Entlastung bei der Mehrfachbelastung mit Familie und Beruf verschaffen können, missbraucht jedoch, wenn sie sich ausgenutzt sehen, da ihre Dienste zu sehr in Anspruch genommen werden. Diesem Problem können sie entgehen, wenn sie klar sagen, wozu sie etwa hinsichtlich der Zeiten der Kinderbetreuung bereit sind. In Fragen der Erziehung können sie Konflikten aus dem Weg gehen, wenn sie die »Bestimmerrolle« der Eltern anerkennen und darauf verzichten, sich die Liebe der Enkel mit augenzwinkernder Kumpanei gegen den Erziehungsstil der Eltern zu sichern und mit allzu üppigen Geschenken zu erkaufen. Vom Standardproblem der E ifersucht bleibt die Beziehung zwischen Eltern und Großeltern nicht verschont: Eifersucht empfinden die Eltern, wenn der Eindruck entsteht, die Liebe der Kinder gelte mehr den Großeltern, die alles erlauben, als den geplagten Eltern, die auch mal Nein sagen müssen. Manchmal provoziert dies den Vorwurf der Eltern, die Kinder zu sehr zu verwöhnen, während den Großeltern der Vorwurf auf den Lippen liegt, sie zu streng zu behandeln (seltener umgekehrt). Weniger häufig wird die Eifersucht zwischen den Großeltern selbst zum Problem, die sich in unterschiedlichem Maße von den Enkeln geliebt fühlen können, häufiger deren Eifersucht untereinander, wenn sie sich benachteiligt sehen (Adelheid Müller-Lissner, Enkelkinder! Eine Orientierungshilfe für Großeltern , 2006).
    Und was ist, wenn keine Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln zustande kommt, weil die Großeltern unter modernen Bedingungen ihr eigenes Leben leben wollen oder sehr fern sind oder schon nicht mehr unter den Lebenden weilen? Dann lassen sich die zahlreichen Möglichkeiten elektronischer und anderer Netze nutzen, um Wahlgroßeltern zu finden. Auch

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