Dem Leben Sinn geben
auf diese Weise können Beziehungen fürs Leben entstehen, mit den experimentellen Familienformen nimmt die Zahl sozialer Großeltern ohnehin zu. Statistische Erhebungen zeigen allerdings, dass biologisch begründete Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln etwas krisenfester und haltbarer sind, und dies nachweislich vor allem dann, wenn biologische Zweifel ausgeschlossen sind: Das ist beim Umgang der Großmutter mit den Kindern ihrer Tochter der Fall, während die Kinder ihres Sohnes prinzipiell »Kuckuckskinder« sein könnten, da der Vater immer ungewiss ist, pater semper incertus , wie dies im Lateinischen hieß; August Strindberg machte, ganz Zeuge seiner Zeit, ein Drama daraus: Der Vater (1887).
Schier unlösbar ist das Problem der ungern gesehenen oder gar torpedierten Liebe zwischen Großeltern und Enkeln. Schwierige Schwiegerverhältnisse werden häufig über die Kinder ausgetragen, die nicht verstehen können, was da geschieht. Einem Elternteil ist vielleicht die Beziehung der Enkel zu den Großeltern, die die Eltern des anderen Elternteils sind, ein Dorn im Auge, etwa weil die familiäre Konstellation davon zu eigenen Ungunsten verschoben wird. Die Beziehung wird unmöglich, wenn nach einer Trennung der Eltern die Großeltern ihre Enkel überhaupt nicht mehr sehen dürfen und jeder Kontakt zwischen ihnen unterbunden wird. Aus dieser leidvollen Erfahrung ging 2002 in Deutschland die Großeltern-Initiative hervor, die sich dafür stark macht, die Beziehungen zwischen Großeltern, Enkeln und Eltern auch nach Trennung und Scheidung nicht abbrechen zu lassen. Ein Umgangsrecht der Großeltern mit den Enkeln kann zum Bestandteil eines Scheidungsurteils werden, aber in der gelebten Praxis kann es dennoch unterlaufen werden. – Die schwierigste Situation für Kinder entsteht gleichwohl erst dann, wenn jeder feste Bezugspunkt fehlt, wie Eltern, Geschwister und Großeltern ihn darstellen können, sodass alles entbehrt werden muss, was kleine Menschen zuverlässig groß werden lässt.
Und wenn Kinder Liebe entbehren müssen?
Nicht oder jedenfalls nicht auf förderliche Weise geliebt zu werden, kann zur traumatischen Erfahrung werden, da es die Gewissheit der Geborgenheit in der Welt erschüttert, bei Kindern weit mehr noch als bei Erwachsenen. Die Beziehung des Selbst zu sich, zu Anderen und zur Welt steht von Grund auf inFrage: Auf wen oder was kann ich bauen, wem vertrauen? Die fehlende Liebe zum Kind kann zur Folge haben, dass es psychisch und somatisch daran erkrankt. Die fehlende körperliche Nähe und der mangelnde Austausch von Gefühlen und Gedanken beengen die Seele mit Ängsten und beeinträchtigen den Körper schwer. Was der britische Kinderarzt John Bowlby seit 1951 (Studie für die Weltgesundheitsorganisation WHO) über die Bedeutung kindlicher Bindung und die Folgen ihres Fehlens sagte, wurde seither vielfach bestätigt: »Frühe Erfahrungen von Einsamkeit oder Verlust können eine lebenslange Empfindlichkeit neurobiologischer Systeme zur Folge haben« (Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit , 2006, 65). Bleibt es bei Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit, werden Vernachlässigung und Verwahrlosung wahrscheinlicher, mit gravierenden Konsequenzen für die Kinder, die die Sorge für sich noch nicht selbst wahrnehmen können. Verzögerungen in der Entwicklung und Fehlentwicklungen sind in vielen Fällen nicht wieder wettzumachen. Wie sich das auswirkt, zeigt sich etwa daran, dass bei seelisch vernachlässigten Kindern die Körperzellen deutlich schneller altern: Durch frühzeitig verkürzte Chromosomen-Enden (Telomere) wird die Regeneration der Zellen fehlerhaft reguliert, ein Vorgang, der mit schweren Erkrankungen in Verbindung gebracht wird ( Molecular Psychiatry , Mai 2011).
Die innere Bereitschaft, Kinder zu bekommen und zu erziehen, kann bei niemandem vorweg getestet werden. Dafür, dass ein Mensch sein Kind nicht liebt, kann es Gründe geben, denen er sich nicht in jedem Fall entziehen kann. In manchen Fällen stellt die Liebe sich einfach nicht ein, in anderen beruht der Mangel daran auf einer bewussten oder unbewussten Ablehnung des Kindes: Der Andere, mit dem es gezeugt worden ist, wird vielleicht nicht oder nicht mehr geliebt. Oder dasKind engt, ohne es wissen und wollen zu können, das Leben der Eltern in einer Weise ein, die erwünschte und erträumte Lebensmöglichkeiten ausschließt, möglicherweise für immer: Nie mehr unbeschwert ausgehen, nie mehr Karriere machen! Offen oder insgeheim
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