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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Geheimgesellschaften wie den Freimaurern, um in einer aristokratisch dominierten Gesellschaft ein bürgerliches, freies Leben zu realisieren. Nicht Nützlichkeit und bloße Gewohnheit sollen für die frei gewählten Beziehungen ausschlaggebend sein, sondern die reine Freude an Geselligkeit.
    Zum Medium der Freundschaft wird außer dem persönlichen Gespräch, das in Nahbeziehungen möglich ist, häufig der Brief , da die Freundschaft immer mehr zur Fernbeziehung wird. Um dennoch von Angesicht zu Angesicht mit den Freunden kommunizieren zu können, lässt ein Freundschaftskünstler wie Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Domsecretarius in Halberstadt am Harz, Porträts von ihnen malen. Wenn er Briefe schreibt und liest, platziert er einen eigens angefertigten Schreib- und Lesestuhl direkt vor dem jeweiligen Bild. Etwa 150 Porträts umfasst seine Sammlung im »Freundschaftstempel«, wohnstubenartigen Räumen in einem verwinkelten Haus. Auf Reisen machen viele seiner Freunde bei ihmStation, berühmte und weniger berühmte Männer und einige Frauen, Johann Gottfried Herder und dessen Frau Maria Karoline, Friedrich Gottlieb Klopstock und dessen Mutter Anna Maria, Jean Paul, Christoph Martin Wieland und Sophie von La Roche.
    In der fortschreitenden modernen Kultur ergibt sich Freundschaft aber immer weniger von selbst, und am anderen Ende geht sie allzu leicht ganz von selbst wieder verloren, wenn der Kontakt im Laufe häufiger werdender Ortswechsel abreißt. Zur selben Zeit wächst ihr die Aufgabe zu, die traditionellen und konventionellen Beziehungen der Liebe, Ehe und Familie in dem Maße zu ersetzen, in dem diese der modernen Bewegung der Befreiung zum Opfer fallen. Von den Anfängen der Moderne an kommt der selbstgewählten Freundschaft die Rolle zu, ein Gegengewicht zur zunehmenden Singularisierung zu bilden. Mehr oder weniger lose Freundeskreise und Gruppierungen wie die Frühromantiker werden zum Modell für viele weitere, zahlreiche Künstlerbünde kommen so im 19. und 20. Jahrhundert zumindest auf Zeit zustande: Etwa die Präraffaeliten, die Impressionisten, die Darmstädter Jugendstilkolonie Mathildenhöhe, Der Blaue Reiter, Die Brücke, die Dadaisten, die Surrealisten und viele mehr.
    Im 20. Jahrhundert wird Freundschaft zur sozialen Basis zahlloser Gruppen, die Musik machen, von Vokalgruppen wie den Comedian Harmonists über Swing-Combos wie dem Duke Ellington Orchestra bis hin zu Bands von globalem Bekanntheitsgrad: Beatles, Beach Boys, Rolling Stones, The Who, Simon & Garfunkel, Queen und endlos viele weitere Rock- und Pop-Gruppen. Vielfach zeigt sich dabei allerdings, dass Zerbrechlichkeit nicht nur ein Problem der modernen Liebe im engeren Sinne, sondern auch der Freundschaft ist:Auslöser des anhaltenden Schmerzes, den viele nach dem Zerbrechen der Beatles empfanden, war nicht etwa nur der Verlust einer genialen Musik, sondern auch einer Utopie der Freundschaft.
    Erst eine andersmoderne Kultur kann Aufschluss darüber geben, ob Freundschaft trotz allem in der Lage ist, dem Zerbrechen von Beziehungen etwas entgegenzusetzen. Das hängt davon ab, in welchem Umfang Menschen sich individuell und über historische Zeiten hinweg darauf einstellen können, dass diese Beziehung nicht ohne Anstrengung zu haben ist, dass die Arbeit an Freundschaft vielmehr zur Aufgabe wird, die bewusst zu leisten ist, um diese Art von Bindung zu begründen und zu bewahren. Freundschaft lässt sich nicht erzwingen, nur erarbeiten, mit existenzieller Investition, um einem Anderen nahezukommen, ihm zur Seite zu stehen, ihm sehr viel zu geben und einen unvergleichlichen Reichtum, ein anderes Leben durch ihn zu erfahren.
    Die entsprechende Tätigkeit des Freundens (Harald Lemke, Freundschaft , 2000, 90 ff.) kann ebensolche Bedeutung wie die des Liebens im Verhältnis der Liebenden für sich beanspruchen. Sie besteht darin, an den Anderen zu denken, immer wieder Kontakt zu ihm zu suchen, Verabredungen mit ihm zu treffen, um zusammenzukommen, zu plaudern, von Erfahrungen zu erzählen, die Erfahrungen des Anderen zu kommentieren, gemeinsam mit ihm etwas zu unternehmen und je nach Intensität der Beziehung auch dann für ihn da zu sein, wenn es »jetzt nicht so gut passt«, zur Not inmitten der Nacht.
    Dafür, dass die Freundschaft sehr viel Aufmerksamkeit im Leben verdient, sprechen schon existenzielle Gründe , denn ein Leben ohne Liebe im engeren Sinne ist möglich, nicht jedoch ohne Freundschaft, jedenfalls nicht auf Dauer. Das Selbstbleibt arm

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