Dem Leben Sinn geben
Freund ):
Liebe vergeht, Liebe verweht,
Freundschaft alleine besteht.
Ein markanter Unterschied ist außerdem, dass bereits beim Zustandekommen der Beziehung keine übertriebenen Anstrengungen unternommen werden müssen, um dem Anderen zu gefallen. Kein unstillbares Begehren treibt zur Freundschaft an, keine Leidenschaft, der nicht zu widerstehen ist, sondern das einfache Interesse am Anderen. Die Freunde müssen nicht unbedingt zusammenleben, sondern können ihr je eigenes Leben mit allen Launen und Gewohnheiten beibehalten, die den Anderen wenig stören, da er sie nicht im Alltag ertragen muss. Selten erhebt ein Freund den Anspruch, »der Einzige« für den Anderen zu sein, eher gilt (wenngleich nicht immer) der Grundsatz, »der Freund meines Freundes ist auch mein Freund«.
So kommen weitläufige Freundeskreise zustande, in denen jeder für die verschiedensten Interessen Ansprechpartner finden kann: Einer teilt gerne die Leidenschaft fürs Kino, ein Anderer die für Gespräche, ein Dritter ist der beste Kompagnon auf Reisen, ein Vierter weiß bei allen elektronischen Fragen Rat. Erotische Momente sind möglich, aber die Frage der Sexualität entfällt meist ersatzlos. Das dürfte der Grund dafür sein, dass auch Machtspiele in Freundschaften kaum vorkommen und keiner darauf aus ist, den Anderen zu »besitzen«. Selbstbestimmung und Selbstmächtigkeit müssen nicht erst erkämpft werden, vielmehr ermutigen sich die Freunde wechselseitig dazu, ihr Selbst voll zu entfalten. Konflikten gehen sie aus dem Weg (Männer mehr als Frauen?), wenigstens diese Beziehung soll frei davon sein. Wenn es dennoch sein muss, wird die Auseinandersetzung durchgestanden, ohne Angst vor einer drohenden Trennung, die bedauerlich wäre, aber das Leben nicht in Frage stellen würde: Ein Leben ohne diese Beziehung ist jederzeit möglich.
Beim Blick über ganze Epochen hinweg kommen jedoch Veränderungen in der Beziehung der Freundschaft zum Vorschein. In der antiken Kultur war wohl ein wesentlicher Grund für ihr Zustandekommen das Bestreben, den Zwängen einer sozialen Umgebung zu entfliehen, die kaum freie Beziehungen kannte. Etliche Freunde formten »Schulen«, geschart um eine zentrale Gestalt wie Pythagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles, Epikur, Zenon. In ihrer Geschichte betrachteten Philosophen von Anfang an die Freundschaft als anspruchsvolle Art der Beziehung zwischen Menschen, bewusst gewählt und von geistigem Austausch geprägt. Das weitaus Größte, das die Weisheit ( sophia ) zur Glückseligkeit des Lebens beitragen könne, sei der Gewinn von Freundschaft ( philia ), meinte Epikur im 4. Jahrhundert v. Chr. ( Entscheidende Lehrsätze , Fragment 27, in: Epikur, Briefe, Sprüche, Werkfragmente , 1982). Er selbst versammelte in Athen in seinen Besitzungen, »Garten« genannt, eine große Gruppe von Menschen zu einer ganz auf Freundschaft ausgerichteten Lebensweise. Frauen galten in diesem abgeschlossenen Raum als gleichberechtigt und Sklaven waren frei – für das Zusammenleben in größeren Gesellschaften blieb dies noch für lange Zeit nur Utopie.
Über viele Jahrhunderte hinweg war in vormodernen Kulturen die Freundschaft für die meisten Menschen, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, allerdings keine Beziehung der Wahl, sondern eine soziale Selbstverständlichkeit. Die Freunde kannten sich gewöhnlich von Kindesbeinen an und verloren sich nicht mehr aus den Augen. Im Deutschen wird bis ins 17. Jahrhundert hinein nicht eindeutig zwischen Freundschaft und Verwandtschaft unterschieden, denn jene ist wie diese quasi angeboren, Menschen kommen damit zur Welt, von Generation zu Generation werden Freundschaften (wieauch Feindschaften) weitervererbt: Die Kinder einer Familie sind mit den Kindern einer seit langem befreundeten Familie weiterhin befreundet. Erst im 18. Jahrhundert vollziehen Menschen in größerer Zahl den Übergang zu einer anderen Zeit, charakterisiert durch die allmähliche Befreiung von der fraglosen Einbindung in das Geburtsmilieu und das gegebene soziale Umfeld, zugunsten einer freien Wahl und Gestaltung von Beziehungen, wozu sich die Freundschaft offenkundig besonders gut eignet, die zunächst viele Intellektuelle als Lebensform für sich entdecken (Jost Hermand, Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Bindung , 2006).
Im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Aufklärung , die die moderne Kultur vorbereitet, wird die Freundschaft geradezu zum Kult . Zahllose Freundschaftsbünde entstehen, offen oder in
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