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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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55).
    Am Einzelnen selbst liegt es, sich um die Geselligkeit mit Anderen zu bemühen, auf deren Grundlage Gesellschaft Tag für Tag von Neuem zustande kommt. Die soziale Kunst , diese Lebenskunst im Umgang mit Anderen, besteht darin, sich das nötige Können hierfür anzueignen und bewusst davon Gebrauch zu machen. Jeder Einzelne kann an der sozialen Plastik , der sozialen Skulptur arbeiten und durch sein kreatives Handeln auf die Gesellschaft einwirken: Bereits in diesem Sinne ist »jeder Mensch ein Künstler«, wie Joseph Beuys postulierte (Wolfgang Zumdick, Joseph Beuys als Denker , 2002, 12).
    Auch die Veränderung und Erneuerung von Gesellschaft geschieht auf diese Weise, denn Freunde ermutigen sich dazu, unkonventionelle Lebensmöglichkeiten zu erproben, die wiederum Andere inspirieren, sodass die Gesellschaft irgendwann eine andere wird. Als beispielsweise die Frühromantiker Friedrich Schlegel und Dorothea Veit mit ihrem Zusammenleben ohne Trauschein Skandal machten, war es ihr FreundFriedrich Schleiermacher, der sich öffentlich vor sie stellte; viele Jahre später erst wurde diese unkonventionelle Art der Ehe selbst zur Konvention.
    Für viele Menschen ist die Freundschaft das Ideal einer schönen, bejahenswerten Beziehung, der sie einen Wert fürs Leben zusprechen. Für Arme und Machtlose, meinte schon Aristoteles, stelle sie die einzige Zuflucht dar, während Reiche und Mächtige ohne sie keine Chance hätten, ihre Position zu festigen. Den Heranwachsenden ermögliche sie, voneinander zu lernen, den Erwachsenen, das ganze Leben hindurch sich wechselseitig zu bestärken, und den Älteren und Alten, die schwindenden Kräfte durch den Beistand füreinander aufzufangen.
    Im 21. Jahrhundert gewinnt Epikurs euphorische Aussage, die Freundschaft tanze »rings um den Erdkreis« ( Weisungen , Fragment 52), auf überraschende Weise erneut an Aktualität: Rund um den Planeten werden im Zuge der Globalisierung Freundschaftsnetze geknüpft, ermöglicht von Techniken der Kommunikation, die es erlauben, immerzu miteinander »in Verbindung zu bleiben« ( to keep in touch ). Die persönliche Globalisierung des Selbst und seiner Beziehungen stellt eine Antwort auf die allgemeine Globalisierung dar und ist zugleich ihr Antrieb, denn viele Menschen wollen den globalen Austausch.
    Wird damit die ganze Erde zum epikureischen Garten? Zu einer solchen Verbreitung eignet sich die funktionale, auch die kollegiale Art der Beziehung, nicht jedoch die Freundschaftsbeziehung. Nicht alle Menschen können mit allen befreundet sein, und daran ist nichts zu bedauern: Dass die Freundschaft eine Ausnahmebeziehung bleibt, trägt zu ihrem hohen Wert bei. Mit der Zahl der Kontakte wird immerhin die Chance größer, gute und beste Freundinnen und Freunde zu finden.
B este Freundin, bester Freund: Was ist Freundschaft?
    Was Freundschaft ist, wird zunächst von herkömmlichen und gegenwärtig gängigen Vorstellungen im sozialen Umfeld bestimmt. Durchweg spielen das Vertrauen zueinander, das Verständnis füreinander, Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit eine große Rolle. Unterschiedlich fallen jedoch die Akzentsetzungen aus: Soll es eine Freundschaft fürs Leben sein, sollen die Freunde das zumindest anstreben? Oder sind sie stillschweigend damit einverstanden, dass es sich wohl nur um eine zeitweilige Beziehung handeln kann? Soll die Eigenständigkeit der Beziehung abseits der Familie betont werden? Oder ist es selbstverständlich, dass die Freunde zur Familie gehören? War die Art und Weise der Freundschaft in vormoderner Zeit weitgehend kulturell definiert , nehmen sich die Freunde in moderner und andersmoderner Zeit die Freiheit, individuell zu definieren , was Freundschaft für sie ist, welche Bedeutung sie ihr zumessen, auf welche Weise sie die Beziehung pflegen wollen, was ihnen wichtig ist, was sie aneinander schätzen, was sie voneinander erhoffen, was sie sich wechselseitig zugestehen, wo ihre Empfindlichkeiten liegen.
    Auffällig an der Freundschaft ist, dass sie sowohl bei traditioneller als auch bei individueller Definition meist gleichgeschlechtlich zustande kommt: Männerfreundschaft, Frauenfreundschaft. Die andersgeschlechtliche Freundschaft ist möglich und wird dennoch nicht im selben Maße wirklich, aus verschiedenen Gründen: Mit der Nähe der Geschlechter kommen, meist von männlicher Seite her, sexuelle Aspekte ins Spiel, die die Freundschaft unterminieren können: »Dann geht es doch wieder nur um das Eine!«

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