Dem Leben Sinn geben
und verzweifelt einsam, wenn es ohne Freunde bleibt, »frei, aber einsam, f – a – e«: Die Buchstaben werden zu Noten in der so genannten FAE-Sonate für Violine und Klavier, mit der Johannes Brahms, Robert Schumann und Albert Dietrich 1853 dem gemeinsamen Freund Joseph Joachim die Bedeutung der Freundschaft hörbar machen wollen.
Für die Lebensbewältigung, erst recht für ein erfülltes Leben bedürfen Menschen der Nähe Anderer, ihrer Zuwendung und Zuneigung, um die Seele von ihnen berühren zu lassen und mit der eigenen Seele wiederum sie zu berühren. In Gedanken können Freunde beieinander wohnen und auf diese Weise in der Welt beheimatet sein. Welche Bedeutung das hat, wird spürbar, wenn unter den vielen Gesichtern, denen ich alltäglich begegne, eines aus der Anonymität hervortritt, an dem mein Blick haften bleibt, das mich anspricht und das ich ansprechen kann: Es verwandelt meine Haltlosigkeit in Halt, meine gefühlte Verlorenheit in der Welt in Geborgenheit. »Was ich aber immer wieder am nöthigsten brauchte, zu meiner Kur und Selbst-Wiederherstellung, das war der Glaube, nicht dergestalt einzeln zu sein, einzeln zu sehn , – ein zauberhafter Argwohn von Verwandtschaft und Gleichheit in Auge und Begierde, ein Ausruhen im Vertrauen der Freundschaft« ( sic! , Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, 1878, Vorrede).
Bedeutung hat die Freundschaft zugleich aus ethischen Gründen . Nicht von ungefähr enthält die aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. stammende Nikomachische Ethik des Aristoteles zwei Kapitel (Buch 8 und 9) über die Freundschaft. Aus dem eigenartigen Verzicht auf dieses Thema in modernen Ethiken resultiert das »Desiderat«, die Freundschaft wieder in die Ethik zu integrieren (Hans Krämer, Integrative Ethik , 1992, 293).
Ob Beziehungen zu Anderen überhaupt eingegangen undwie sie schön und bejahenswert gestaltet werden können, um daraus Werte fürs Leben zu gewinnen: Beinahe mehr noch als in der Familie geschieht das ethische Lernen von Kindheit an in der Freundschaft (Monika Keller, Moralische Sensibilität: Entwicklung in Freundschaft und Familie , 1996). In einer Familie herrscht nicht selten die Meinung vor, sich alles erlauben und die eigene Willkür in aller Wildheit ausleben zu können, da die Beziehungen unkündbar erscheinen. In der Freundschaft aber können Beleidigungen und Verletzungen die Beziehung umstandslos in Frage stellen. Die Freiheit des Weggehens steht jedem jederzeit offen, und so lernt jeder, aus Eigeninteresse darauf zu achten, was er dem Anderen zumuten kann.
Eine praktische, nicht bloß theoretische Begründung der Ethik ergibt sich daraus: Eine Bindung des individuellen Handelns an Werte sowie eine Begrenzung der Beliebigkeit des Verhaltens, das sich destruktiv auf das Leben mit Anderen und im Gegenzug auf das eigene Selbst auswirken könnte. In allen Beziehungen ist erfahrbar, wie schwierig der Umgang miteinander sein kann, in der Freundschaft aber sind am ehesten Formen dafür zu finden, einen allzu engstirnigen Egoismus zu verhindern. So kommt eine wechselseitige Kultivierung zustande, die die Freunde umgänglicher, menschenfreundlicher, geselliger, zivilisierter, »zahmer« macht. Dass Freunde sich zähmen , ist der Begriff, den Antoine de Saint-Exupéry in seinem berühmten Buch dem Fuchs in den Mund legt: »Wenn du einen Freund willst, so zähme mich« ( apprivoise-moi , Der kleine Prinz , 1946, Kapitel 21).
Und aus politischen Gründen ist die Freundschaft von Bedeutung: Wohl in der Hauptsache aus diesen Gründen hebt Aristoteles diese Beziehung in einer Zeit hervor, in der traditionelle Bindungen an Bedeutung verloren, denn eine solcheSituation kannte in lokalen und regionalen Grenzen schon die antike Zeit. In der Polis , die aufgrund immer größer werdender Ichs in immer kleinere Teile zersplittert, wird in der Antike wie später in der Moderne auf Beziehungen der Freundschaft zurückgegriffen. Die Art und Weise, in der ein Einzelner im überschaubaren Bereich persönlicher Beziehungen sein Sozialleben gestaltet, stellt auch eine Arbeit an der Entstehung und Bewahrung von Gesellschaft dar und begründet, um ein Wort von Jacques Derrida aufzunehmen, eine Politik der Freundschaft . Angesichts der Dominanz bloßer Funktionalität im modernen sozialen Leben kann die Freundschaft dazu beitragen, die Bindungskräfte zwischen den Individuen wieder zu stärken und ihre »Desintegration zu kompensieren« (Ursula Nötzoldt-Linden, Freundschaft , 1994,
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