Dem Leben Sinn geben
Konsequenterweise ist es bei gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen die andersgeschlechtliche Freundschaft, die deutlich entspanntere Züge trägt, da sexuelle Aspekte in ihr eine geringere Rolle spielen.
Ein weiterer Grund für die Bevorzugung gleichgeschlechtlicher Freundschaften ist die Art des Fühlens, Denkens und Lebens, die zu einem nicht genau bestimmbaren Teil kulturell und von Natur aus geschlechtlich bestimmt ist: Es ist einfach zu mühsam, einem Vertreter des anderen Geschlechts immer wieder die Unterschiede erklären zu müssen, die der Andere trotz allem nicht so recht nachvollziehen kann. Umgekehrt fühlt es sich gut an, als Frau von der Freundin, als Mann vom Freund ernst genommen zu werden und eine Bestärkung der eigenen Seinsweise zu erfahren. Bei vielen Problemen wirkt es entlastend zu wissen, dass es sich nicht um persönliche, sondern um geschlechtstypische Probleme handelt, etwa bei den physischen und psychischen Veränderungen, die die Pubertät, später das Älterwerden mit sich bringen. Es entfällt der latente Druck, den Ansprüchen des anderen Geschlechts genügen zu sollen, für das eigene Denken, Fühlen und Handeln um Verständnis bitten zu müssen, sich keine Fehler erlauben zu dürfen, die jedenfalls in den Augen des Anderen welche sind.
Die Unterschiede könnten, neben Einflüssen der sozialen Umwelt, mit der Ausdifferenzierung von Hirnstrukturen zu tun haben, die genetischer Steuerung unterliegen, oft geleugnet und dennoch wirksam, kulturell und individuell modifizierbar, aber nicht beliebig veränderbar. Die Prägung geschieht bei vielen auf sehr charakteristische Weise, bei einigen abgewandelt oder genau entgegengesetzt, denn die Natur selbst sorgt dafür, dass die Konformität nicht zu groß wird. Ein Hormonbad an Testosteron bewirkt bereits im Mutterleib in der achten Schwangerschaftswoche, dass im männlichen Gehirn die Zentren für Aggression und Sexualität stärker ausgebildet werden, zu Lasten der Kommunikationszentren. Von klein auf wirkt sich dies auf Wahrnehmungen, Fühlweisen, Denkbewegungen und Lebensstilfragen aus: Viele Jungen erkunden ihre Umgebung offensiv, zuweilen riskant, und interessieren sich für Testosteronprodukte aller Art, also für Techniken, insbesondere für Waffentechniken; auch die Beine der Puppe, mit der sie politisch korrekt spielen sollen, funktionieren sie zu Schwertern um (Reinhard Winter, Jungen. Eine Gebrauchsanweisung , 2011).
Entsprechende Unterschiede prägen soziologischen Untersuchungen zufolge sogar das bevorzugte Setting des freundschaftlichen Umgangs (Petra Kolip, Freundschaft im Jugendalter , 1993, 84): Jungen fühlen sich wohl, und bei Männern scheint das so zu bleiben, wenn sie Seite an Seite ( side by side ) etwas miteinander unternehmen können, Blick geradeaus ins Freie, Weite, das vor ihnen liegt, sei es eine Landschaft, ein Bildschirm oder im reiferen Alter die Flaschenbatterie einer Bar. Häufig halten Jungen und Männer die Kommunikation in überschaubaren Grenzen und sehen einander dabei ungern in die Augen: Sich zu sehr anrühren zu lassen vom Anderen und seiner Geschichte, würde wohl die Distanz unterlaufen, die wichtig ist, um den Überblick zu behalten und Überlegenheit zu behaupten.
Statt über Empfindungen und Befindlichkeiten reden sie lieber über ihre Errungenschaften, nicht immer frei von der Versuchung aufzutrumpfen, und sei es durch Understatement. Problemen weichen sie keineswegs aus, aber es kann letztlich ja doch nur um ihre Lösung gehen, für die es keiner langen Diskussion bedarf, nur einer klaren Entscheidung und zügigen Umsetzung durch den, den es angeht. Schon Jungen, erstrecht Männer können nicht gut zuhören, wenn sie etwas nicht interessiert, also hören sie weg und gehen weg. Was Männer wirklich interessiert, wissen Männer selbst am besten, und so finden sie nichts dabei, anzügliche Bemerkungen zu machen, da sie ohnehin hundertmal am Tag an Sex und Erotik denken. Ersatzweise werden Sport und Technik zum Thema, vorzugsweise anhand von Fakten, die jedenfalls aus eigener Sicht welche sind. Männer verstehen auch am besten, wie Männern in Lebensphasen zumute ist, die anders verlaufen als bei Frauen, und sollte die Liebe schwierig werden, ist es tröstlich zu wissen: »Wahre Liebe gibt es nur unter Männern!«
Ohne Testosteroneinfluss werden im weiblichen Gehirn Fähigkeiten der Kommunikation und Einfühlung stärker ausgeprägt; schon Mädchen sind dadurch in der Lage, kleinste Regungen
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