Dem Leben Sinn geben
Menschen in einer Gesellschaft unpersönlicherInstitutionen des Staates, die davon absehen, Einzelne zu privilegieren, um stattdessen im Auftrag aller die Rahmenbedingungen des Lebens für alle zu gewährleisten. Aber nur der persönliche Kontakt, die individuelle Zuwendung und Zuneigung zwischen Menschen, die sich wahrnehmen und achten, kann menschliche Wärme erzeugen. Aristoteles setzte hierfür auf die anspruchsvolle wahre Freundschaft, die das aber bestenfalls in der überschaubaren griechischen polis leisten konnte, und auch dort nicht zu jeder Zeit. In der unüberschaubaren modernen Gesellschaft ist das tragende Geflecht eher den vielen guten Freundschaften, Kameradschaften, Kollegialitäten, Bekanntschaften und Nachbarschaften zu verdanken, deren Pflege zeitlich und energetisch nicht sonderlich aufwändig ist und dennoch allen zugutekommt.
Jede Arbeit an der Gesellschaft, an der polis im engeren und weiteren Sinne, ist politike techne , wie dies im Griechischen hieß, also Politik , unabhängig davon, auf welcher Ebene sie betrieben wird. Zusammenhänge zwischen Menschen zustande zu bringen, zu bewahren und auf diese Weise Sinn zu schaffen, ist auch der Sinn der Citoyenität , des bewussten Zusammenlebens in einer Gesellschaft, dieser cité , die ursprünglich die überschaubare Welt einer Burg oder Stadt war.
Die persönliche Pflege der Beziehungen ist Teil einer bewusst gelebten Bürgerschaft , ohne die keine Gemeinde, kein Stadtteil, keine Stadt und kein Staat existieren kann. Jedes Gemeinwesen beruht auf der Bereitschaft der Bürger, sich als Kollegen im Hinblick auf die Arbeit an der Polis oder Cité zu betrachten, auch wenn es unmöglich ist, jeden Einzelnen zu mögen oder auch nur zu kennen. Die politische Arbeit zuallererst als persönliche Aufgabe, dann erst als Aufgabe staatlicher Institutionen zu begreifen, ist das Grundelement einer bürger l ichen Ethik im Wortsinne: Jedem anderen Bürger grundsätzlich die Wertschätzung entgegenzubringen, die von ihm für das eigene Selbst erwartet wird, ist die Goldene Regel dieser Ethik. Selbst unbekannte und fremde Andere können dann als Teilhaber der Gesellschaft, als Mitbürger akzeptiert werden, erst einmal unabhängig davon, ob sie im formalen Sinne Bürger sind. Sie sind da, also gehören sie dazu.
Völlig unüberschaubar ist die umfassende Gesellschaft, die im 21. Jahrhundert entsteht und an der alle Menschen gleichermaßen beteiligt sind, da sie ein und denselben Planeten bewohnen: In der Weltgesellschaft verfügt eine wachsende Zahl von Menschen über planetenweite Möglichkeiten der Kommunikation und Begegnung in nie zuvor gekanntem Ausmaß. Alle Menschen aber sind für ihr Zusammenleben auf eine Weltbürgerschaft angewiesen, bestehend aus vielen Einzelnen, die sich um die gemeinsamen Belange kümmern.
Das weltbürgerliche Engagement antwortet auf den weltweiten Austausch von Gütern und Informationen und bemüht sich um eine planetare Sensibilität für die Belange derer, die auf Hilfe angewiesen sind. Wo Gleichgültigkeit war, entsteht eine lose Kollegialität der Bürger des Planeten, ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, das wenigstens dann wirkliche Konsequenzen hat, wenn existenzielle Herausforderungen zu bewältigen sind: Dass bei Naturkatastrophen viele bereit sind, für die Betroffenen einzustehen, hat die globale Hilfsbereitschaft nach Katastrophen wie dem Tsunami in Südostasien 2004, dem Erdbeben in Haiti 2009, Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe in Japan 2011 gezeigt. Auf neue Weise können somit alte Ideen der Menschen- und Nächstenliebe dazu beitragen, dem menschlichen Leben Sinn zu geben.
M enschenliebe, Nächstenliebe und Gastfreundschaft
Die Kollegialität der Bürger und Weltbürger, diese Erweiterung der Freundesliebe weit über den begrenzten Kreis der erklärten Freunde hinaus, wird von Menschenliebe getragen. Die Philanthropie ist eine allgemeine Liebe zur Menschheit und eine besondere zu einzelnen Exemplaren. Sie kann potenziell jedem zukommen und zeigt sich grundsätzlich in der Form von Freundlichkeit gegenüber Anderen – sie nicht wie Luft zu behandeln, sondern sie wahrzunehmen, ihnen sogar ein Lächeln zu schenken, ihre Anliegen ernst zu nehmen und nicht von vornherein abzutun. In ihrer anspruchsvolleren Form gewinnt die Menschenliebe konkrete Gestalt in der Hilfe für Bedürftige und einem Hinsehen und Hingehen, wenn jemand bedroht ist oder sonstwie in Not gerät.
Historisch machte diese Liebe Karriere
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