Dem Leben Sinn geben
unter dem Namen der Humanität , der Menschlichkeit ( humanitas im Lateinischen). Wenn sie nicht nur eine Absichtserklärung bleibt, entsteht mit ihr eine Beziehung von Mensch zu Mensch, eine Zuwendung zum Anderen, und sei es nur für einen Augenblick, ein Einstehen für ihn, womöglich auch unter schwierigen Bedingungen, auch ohne ihn zu kennen und ohne eine Interesse damit zu verbinden, unter Inkaufnahme eigener Nachteile, ohne einen Ausgleich dafür zu erwarten. Wie die Liebe im engeren Sinne kann die Menschenliebe einseitig bleiben, anders als bei der Freundschaft fehlt die Notwendigkeit der Wechselseitigkeit.
Die Menschenliebe beruht in der Regel nicht auf persönlicher Vertrautheit. Aber nur so kann sie unabhängig davon verwirklicht werden, was für eine Person der Andere ist und ob er überhaupt eine Person im Sinne eines bewussten Selbst ist. Auf der Seite des Liebenden wiederum ist sie davon abhängig, dass die ganze Person engagiert ist, nicht so sehr mit körperlichem Eros , sondern mit seelischer Philia und vor allem mit der geistigen Form von Zuwendung und Zuneigung, Agape im Griechischen, Caritas im Lateinischen, um dem Anderen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und seine Würde als Mensch zu achten. Wie bei aller Liebe, Freundschaft und Kollegialität ist dafür ein großes Wohlwollen nötig, das aus einer Entscheidung resultiert, und dieses Wohlwollen muss in einer tätigen Menschenliebe erfahrbar sein, denn als bloß gedachte nützt sie niemandem. Die in die Tat umgesetzte Menschen- und Nächstenliebe ist eine Zuwendung zu Anderen, eine Solidarität auch mit Ungeliebten und Ausgegrenzten, die von größter Bedeutung ist in einer Gesellschaft, in der funktionale Beziehungen dominieren und Anonymität vorherrscht. Jeder, der dieser Idee folgt, kann der Lieblosigkeit der funktionalen modernen Gesellschaft schon mit dem bloßen Mögen Anderer als einfachster Form der Liebe bewusst etwas entgegensetzen.
Die Ethik der Menschenliebe aber findet in der Ästhetik ihre Begründung: Humanität beruht darauf, dass Menschen sie schön finden. Schön erscheint sie zunächst, wenn sie dem Selbst zuteilwird und den Wunsch hervorruft, auch Anderen eine solche Erfahrung zu vermitteln. Zeigt das Selbst Menschenliebe und Menschlichkeit, wird wiederum die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch Andere sie zeigen wollen. Eine Humanität aber, die immer nur von Anderen erwartet, nie von einem Selbst verwirklicht wird, bleibt nur eine schöne Idee.
Besonders schön erscheint vielen die freie Zuwendung und Zuneigung zu Anderen. Ansonsten bleibt nur, auf das Eigeninteresse zu setzen, das auch bei der Ethik der Menschenliebe in der Goldenen Regel zum Ausdruck kommt: Wende dich Anderen so zu, wie du auf die Zuwendung Anderer hoffst. Im inneren Dialog wäre das immer von Neuem zu thematisieren: »Wie würde ich selbst gerne von Anderen behandelt werden, insbesondere dann, wenn ich in Not gerate? So sollte ich klugerweise Andere behandeln, sonst habe ich von ihnen nichts zu erwarten.« Ausgelöscht wird die Zuwendung, wie jede andere, nur von Gleichgültigkeit: »Was gehen mich die vielen Menschen an, die ich nicht kenne? Gibt es nicht ohnehin viel zu viele?« Wohl kaum einer, der so denkt, würde akzeptieren, dass Andere ihn selbst für überzählig hielten.
Der humane Umgang mit Anderen fällt leichter, wenn er durch einen humanen Umgang mit sich selbst eingeübt wird, durch eine Selbstbefreundung, die die Kräfte für die Freundlichkeit gegenüber Anderen zur Verfügung stellt. Menschen mit einer freundlichen Selbstbeziehung sind am ehesten zur Menschenliebe, Menschenfreundschaft oder wenigstens zur Kooperation mit Anderen in der Lage. Als human erweist sich der, der die Menschenwürde achtet und Menschlichkeit zeigt, im Umgang mit sich wie in seinen Umgangsformen mit Anderen, in der geduldigen und nachhaltigen Einübung von Verhaltensweisen der Geselligkeit, um die er sich bemüht, in der kleinen Geste ebenso wie im gesamten Verhalten. Als inhuman erweist sich demgegenüber der, der sich selbst nicht mag und infolgedessen Andere, erst recht Fremde nicht mögen kann, stattdessen ein gleichgültiges, hasserfülltes oder ausschließendes Verhältnis zu ihnen pflegt. Abgesehen vom unfreundlichen Verhältnis zu sich selbst, das alle Kräfte für die Zuwendung zu Anderen raubt, kann es in gleicher Weise die übermäßige Selbstliebe sein, die keinen Platz für Andere lässt. Eine endlose Unruhe gilt der Folgefrage, ob Humanität
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