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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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erfüllt, von dem Immanuel Kant sprach und das er in einer »allgemeinen Hospitalität« begründet sah: Jeder Mensch solle überall auf der Welt das Recht haben, als Gast behandelt zu werden ( Zum ewigen Frieden , 1795, Dritter Definitivartikel).
    Die Polarität des Lebens aber lässt sich trotz aller Bereitschaft zur Menschenliebe, Nächstenliebe und Gastfreundschaft nicht ausschalten. Nicht nur in der großen Geschichte, sondern auch im kleinen Alltag kommt es zu Episoden,manchmal zu Explosionen von Menschenhass. Zur Misanthropie sind nicht nur Andere in der Lage, sondern auch das eigene Selbst. Das zeigt sich nicht etwa erst bei Gewaltausbrüchen, die den Betroffenen den Glauben an die Menschheit rauben können, sondern bereits in abfälligen Gesten bei zufälligen Begegnungen auf der Straße, wo Fußgänger, Fahrradfahrer und Autofahrer sich wechselseitig verfluchen. Aus jeder Perspektive ist immer der Andere der Idiot. Der Fußgänger, der heute Autofahrer beschimpft, hat nicht das geringste Problem damit, morgen als Autofahrer Fußgänger zu hassen. Menschenhass macht sich ebenso im virtuellen Raum bemerkbar, wenn Menschen sich online so ausfällig gegen Andere verhalten, wie sie es sich ohne Schutz der Anonymität offline nie erlauben würden.
    Es ist aussichtslos, im menschlichen Umgang die Polarität des Lebens außer Kraft setzen zu wollen. Aussichtsreicher könnte das Bemühen sein, sich bei aller Abneigung und beim Hass gegen Andere nicht dem Exzess hinzugeben, der alle Zusammenhänge zerstört: Ärger genügt. Selbst dann, wenn eine Feindschaft entsteht, muss sie nicht überhöht werden: Sie ist der unvermeidliche Gegenpol zur Freundschaft, der nicht durchweg zu vermeiden ist. Die Welt kann nicht nur aus Freunden bestehen, auch Feinden kommt Bedeutung zu. Ihnen kann sogar Liebe zuteilwerden und auch diese Feindesliebe kann Bestandteil einer Kunst des Liebens sein. Es ist erstaunlich, dass dies kaum je so gesehen worden ist, selbst dort nicht, wo seit langem die religiöse Forderung einer Liebe zu Feinden erhoben wird.

Von der Liebe zu Feinden
Feindesliebe und Selbstliebe: Was es heißt, seine Feinde zu lieben
    Beim nächtlichen Blick in die Sterne wird die Seele vom wundervollen Frieden berührt, der im All zu herrschen scheint. Mit stiller Selbstverständlichkeit ist alles an seinem Platz. Der Kontemplation erschließen sich die Kämpfe nicht, die auch zwischen Himmelskörpern toben, zwischen Sternbrocken, Sternen und ganzen Galaxien, die kollidieren und irgendwann von Schwarzen Löchern verschlungen werden, über Räume und Zeiten hinweg, die der menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Die Erde umkreist die Sonne, die in ewig scheinenden Zeiten in einer Galaxis zirkuliert, die sich ihrerseits auf einen großen Galaxienhaufen zubewegt.
    Mir wird schwindlig bei der bloßen Vorstellung der Vorgänge, lieber konzentriere ich mich auf die Kämpfe zwischen Menschen, die beim gedanklichen Blick zurück aus dem All auf den heimatlichen Planeten ins Bild kommen: Feindseligkeit blitzt in den Augen vieler Menschen auf, und selbst ihre Worte, falls sie noch miteinander reden, wirken wie Blitzeinschläge. Dieselbe Energieaufwallung lässt sie Fäuste ballen oder zu Waffen greifen. Sogar zwischen Menschen, die sich nie begegnen, können Blitze zucken. Es ist unklar, ob sie dabei überhaupt eine eigene Wahl haben oder ähnlich wie Sterne nur vorgezeichneten Bahnen folgen, die in manchen Fällen eben zum Crash führen.
    In den Augen vieler ist dies das Problem des Lebens schlechthin: Angefeindet zu werden, zwangsläufig selbst anfeinden zu müssen. Die meisten Menschen träumen einen bescheidenen Traum: Gerne würden sie in Ruhe und Frieden ihr Leben genießen. Leider kommt immer etwas dazwischen, genauer gesagt jemand , und damit fängt es an: Meinungsverschiedenheiten führen zu Auseinandersetzungen, aus diesen gehen Anfeindungen hervor, die sich schließlich zur Feindschaft verfestigen. Lässt sich das vermeiden? Es ist schwierig, in allen Dingen stets einer Meinung zu sein und Rücksicht zu nehmen, jeder Einzelne hütet seine aktuelle Meinung als wertvolles Eigentum, »alles meins«. Nicht immer lassen sich die Differenzen überspielen, geschweige denn überwinden. So kommen Menschen nicht umhin, sich Feinde zu »machen« und sie fortan zu »haben«, ohne dass dieser Besitz sonderlich froh machen würde.
    Anfeindungen sind nicht wiederholungsbedürftig, aber in hohem Maße wiederholungsfähig, sie

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