Dem Leben Sinn geben
scheinen sogar einem Wiederholungszwang zu unterliegen, bis zu dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Dann handelt es sich nicht mehr um einen Mangel an Sympathie, auch nicht mehr nur um eine bloße Antipathie und schon gar nicht um eine sportliche Gegnerschaft im Rahmen eines fairen Wettbewerbs. Der Feind trachtet vielmehr danach, mich empfindlich zu treffen, egal wie, wenn es nur weh tut, und der Todfeind sinnt darauf, mich zu vernichten, sozial , indem er die Wertschätzung Anderer für mich untergräbt, geistig , indem er für bedeutungslos erklärt, worum es mir geht, psychisch , indem er mich von seelischen Ressourcen, von der Lebensfreude und von Schönem überhaupt abzuschneiden versucht, oder physisch , indem er mich des Lebens selbst berauben will. Wie kann ich darauf antworten?
Eine Möglichkeit ist von alters her, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, mindestens. Endlose Spiralen der Vergeltung sinddie Folge. Aber von alters her steht auch ein weiterer Vorschlag im Raum, der aufs Neue zu prüfen wäre, um ungute Kreisläufe zu durchbrechen: Feinden eine besondere Zuwendung und Zuneigung zukommen zu lassen. Feindschaft geht meist mit Hass einher, mit äußerster Abwendung und Abneigung, die Menschen ungefragt überkommt. Dies geschehen zu lassen, ist eine mögliche, passive Haltung. Eine andere, aktive Haltung sieht vor, Zuwendung und Zuneigung daraus zu machen, wenigstens auf der eigenen Seite. Diese Feindesliebe kann, wie andere Lieben mit Ausnahme der Freundesliebe, einseitig bleiben; bleibt sie es, kann jeder für sich entscheiden, ob er dennoch an ihr festhalten will. Mit der Feindesliebe geht ein Mensch in Vorleistung, ohne dies von einer Gegenleistung abhängig zu machen, und das verändert jedes Verhältnis zu Feinden, jedenfalls der Theorie nach.
Ein Grund dafür, so vorzugehen, könnte sein, dass die Feindesliebe, wie andere Lieben, eine Form von Sinngebung für das Selbst und keineswegs gänzlich selbstlos ist: Sie kann ein Remedium für den sein, der sich ihrer bedient, um von einem krankhaften Hass zu gesunden. Sie kann ihn vom Ressentiment , vom Rachegefühl befreien, ohne dass er dafür einer Vergeltung bedürfte, die nur wieder die Vergeltung Anderer nach sich ziehen würde. Der Grundgedanke, Feindschaft zu überwinden, hat in verschiedenen Kulturen und Religionen eine eigene Ausprägung erfahren. »Feindschaft kommt durch Feindschaft zustande, durch Freundschaft kommt sie zur Ruhe, dies ist ein ewiges Gesetz«, heißt es in einem kanonischen Text des Buddhismus, dem Dhammapada , einer Sammlung von Sprüchen des Buddha. Das Fehlen von Feindseligkeit sei eine der »Gaben des Menschen von göttlicher Natur«, verkündet einer der populärsten Texte des Hinduismus, die Bhagavad Gita .In der christlichen Kultur ist es die Bergpredigt, in der Jesus zur Überwindung von Feindschaft aufruft, die Nächstenliebe wird zu diesem Zweck um die Feindesliebe ergänzt: »Liebet eure Feinde« ( Matthäus-Evangelium , 5, 44), »tut Gutes denen, die euch hassen« ( Lukas-Evangelium , 6, 27). Die Liebe soll allen Feindschaften standhalten können, mit ihr müsste auch die Distanz zu Ungläubigen und Andersgläubigen, die als Feinde gelten könnten, mühelos zu überbrücken sein.
Was als großer Schritt in der Geschichte der abendländischen Zivilisation gelten darf, stellt aus christlicher Sicht zunächst einmal nichts Besonderes dar: Der Feind ist einfach auch nur ein Mensch, ein Sonderfall des Nächsten, der unter das Gebot der Nächstenliebe fällt, ein weiteres Geschöpf Gottes, dem Liebe zukommt, da Gott selbst Liebe ist. Als Feind mag er ein widerwärtiger Typ sein, als Mensch ist er jedoch, wie das Selbst, ein Kind Gottes. Theologisch wird gleichsam ignoriert, dass es sich um einen Feind handelt, er wird lediglich aus der Universalität der Nächstenliebe nicht ausgeschlossen, wie Thomas von Aquin erklärt: Die Feindesliebe gilt der Person des Feindes so wenig wie die Nächstenliebe der Person des Nächsten, geliebt wird auch dieser Andere immer nur »Gottes wegen«. Spezielle Bekundungen der Liebe gegenüber dem Feind sind nicht nötig, es genügt völlig, ihn wie alle Nächsten ins Gebet einzuschließen und zur Hilfe in der Not für ihn bereit zu sein ( Summa theologiae , II, 25, 9). Vorausgesetzt, dass ein Mensch dazu fähig ist, dieser Idee von Liebe zu folgen. Das aber fordert ihn im Innersten heraus.
Denn was heißt es, seine Feinde zu lieben? Abzulassen von der Rache an ihnen, von
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