Dem Pharao versprochen
anschmiegsam gewesen, jetzt wurde es steif und hart. Anchesanamun ließ es los und starrte fassungslos auf eine Mumie. Der Kopf, der ganz mit grauen Leinenbinden umwickelt war, bewegte sich, die Binden verschoben sich und darunter wurde der Totenschädel sichtbar. Das Kind betrachtete seine Mutter aus leeren Augenhöhlen.
»Du hast mir den Tod gebracht! Die Götter haben dich verflucht!«
»Nein, nein!«, wimmerte Anchesenamun und warf sich auf ihrem Bett hin und her. »Ich habe nichts getan! Ich kann doch nichts dafür!«
Tränen strömten über ihr Gesicht, sie riss die Augen auf und blickte sich verwirrt um.
»Ruhig, ganz ruhig!«, sagte Selket sanft. »Du hattest einen bösen Traum! Aber jetzt ist alles gut …«
»O Selket!«, schluchzte Anchesenamun. »Ich habe von meinem Kind geträumt. Ich habe meine Tochter im Traum gesehen. Sie war so hübsch … und völlig gesund!« Sie setzte sich auf. »Ich konnte sie anfassen und umarmen … Sie war lebendig, ich fühlte ihren Herzschlag.« Sie strich über ihre Wange, die sich eben noch an das schwarze Haar ihrer Tochter geschmiegt hatte. Sie hatte ihren Duft gerochen … Das konnte doch nicht alles nur Einbildung gewesen sein …
»Deine Tochter war sehr krank«, betonte Selket. »Ich habe sie gesehen. Sie hätte niemals ein normales Leben führen können.« Sie drückte Anchesenamun sanft aufs Lager zurück. »Niemand hat dich betrogen, Anchi. Es hat alles seine Richtigkeit. Ich verstehe ja, dass dich das alles sehr mitgenommen hat. Das Beste wäre …« Sie brach ab.
»Was wäre das Beste für mich?«, hakte Anchesenamun nach.
»Wenn du bald wieder guter Hoffnung wärst.« Selket lächelte sie an. »Dann müsstest du nicht immer an die Vergangenheit denken, sondern könntest dich auf die Zukunft konzentrieren.«
»Ach, Selket, wie soll das klappen, wenn sich Tut von mir fernhält?«, fragte Anchesenamun. »Ich glaube, er hat jedes Interesse an mir verloren. Er benimmt sich wie ein Fremder, mit dem ich zufällig verheiratet bin.« Sie seufzte tief.
»Vielleicht müsstest du den ersten Schritt tun«, sagte Selket und lächelte Anchesenamun aufmunternd an. »Bald bist du wieder gesund. Dann ziehst du ein neues Kleid an, machst dich schön, hüllst dich in ein verführerisches Parfüm und gehst zu ihm. Du wirst sehen, er wird dich nicht abweisen.«
Anchi zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht …«
»Es kommt auf einen Versuch an«, meinte Selket. »Aber jetzt komm erst wieder zu Kräften. Etwas mehr Fleisch auf den Rippen schadet dir bestimmt nicht, du bist so dünn!«
»Das sagst du mir jeden Tag!« Anchesenamun seufzte.
»Weil ich es gut mit dir meine.« Selket musterte sie. »Wie sieht es aus? Fühlst du dich kräftig genug für einen kleinen Spaziergang durch den Garten? Keine Angst, nur ein paar Schritte. Ich möchte einfach, dass du ein bisschen an die frische Luft kommst.«
Anchesenamun willigte ein. Gestützt von Selket und Nefermut begab sie sich in den Palastgarten. Es war sehr anstrengend und sie merkte, wie schwach ihre Beine während ihrer Krankheit geworden waren. Sie musste zwischendrin immer wieder eine kurze Pause einlegen. Aber der kleine Ausflug tat ihr gut, sie aß am Abend mit mehr Appetit als sonst und schlief in der darauffolgenden Nacht tief und fest, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. Selket war sehr zufrieden mit ihr. Sie wusste, dass sich Anchesenamun auf dem Weg der Genesung befand.
Zwei Wochen später kam eine fahrende Tuchhändlerin in den Palast. Sie bestand darauf, dass die Königin die erlesene Ware mit eigenen Augen begutachten sollte. Die Fremde war hartnäckig und ließ sich nicht abweisen. Schließlich hatte sie Erfolg, und man führte sie in einen Raum, in dem wenig später Anchesenamun erschien.
Die Tuchhändlerin verneigte sich tief.
»Seid gegrüßt, Große Königliche Gemahlin! Möget Ihr ewig leben! Die Kunde von Eurer Schönheit ist durchs ganze Land gedrungen, und deswegen bin ich aufgebrochen, damit Ihr persönlich sehen könnt, welche feinen Tuche und Stoffe ich anbiete. Ihr werdet damit noch schöner aussehen, das versichere ich Euch.« Sie verneigte sich abermals.
»So zeigt, was Ihr mitgebracht habt«, entgegnete Anchesenamun und setzte sich auf den verzierten Sessel, der für sie bereitgestellt worden war.
»Habt vielen Dank, edle Herrin, dass ich vor Euch meine Ware ausbreiten darf.« Die Tuchhändlerin begann, ihre Stoffballen aufzuschnüren. Grobes
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