Dem Pharao versprochen
Sonne. Sie setzten anmutig ihre Hufe voreinander und ließen ihre Muskeln spielen. Ihre Köpfe waren mit großen bunten Federn geschmückt. Die Menge tobte vor Begeisterung.
Der Pharao lächelte zufrieden. Eje, der von einer Ecke aus den Zug beobachtete, lächelte ebenfalls. Nichts wies darauf hin, dass das Königspaar miteinander Probleme hatte. Nach außen hin wirkten die beiden glücklich und verliebt, ja sogar heiter und gelöst. So sollte es sein. Es ging das Volk nichts an, was sich hinter den Palastmauern abspielte …
Siebzig Tage nach seinem Tod wurde das neugeborene Mädchen beigesetzt, und zwar im Grab, das Tutanchamun für sich und seine Familie vorgesehen hatte. Es lag am Westufer des Nils, geschützt von hohen Felsen, in jenem Tal, in dem schon seit Jahrhunderten die toten Pharaonen bestattet wurden und in dem auch der prächtige Totentempel der Pharaonin Hatschepsut stand. Hier, im Schatten des Berges El-Qurn, bewegte sich der Trauerzug, der nur aus Priestern und ausgewählten Trauergästen bestand; die breite Öffentlichkeit war von der Feierlichkeit ausgeschlossen worden, so hatte es der Pharao gewünscht.
Anchesenamun empfand nur eine große innere Leere, als sie hinter dem bemalten Sarg herschritt, in dem sich die Mumie ihrer Tochter befand, die sie kein einziges Mal im Arm gehalten hatte. Es war, als würde eine andere Frau hinter dem Sarkophag hergehen. Es war ein heißer Tag, und der Marsch durch den Sand war anstrengend. Der monotone Gesang der Priester hatte eine einschläfernde Wirkung und versetzte Anchesenamun in eine Art Trance.
Zu ihrer Rechten schritt der Pharao. Sein Gesicht war unbewegt, es wirkte, als sei es aus Stein gemeißelt. Noch am Morgen dieses Tages hatte sich das Königspaar wieder gestritten. Tutanchamun hatte verlangt, Anchesenamun solle endlich den Namen des Kindsvaters preisgeben.
»Ich bin es müde, dir immer dasselbe zu versichern«, hatte Anchesenamun geantwortet. »Du bist der Vater und niemand sonst. Das Kind wird zu Recht in deinem Grab beigesetzt. Ich weiß, du glaubst mir noch immer nicht, und ich wünschte, es gäbe einen Weg, dir zu zeigen, dass das Mädchen dein eigen Fleisch und Blut ist.«
»Leider gibt es keine Möglichkeit, eine Vaterschaft zu beweisen«, sagte Tutanchamun. »Außer vielleicht, wenn das Kind dem Vater ähnelt. Aber wenn es der Mutter ähnlich sieht, dann ist jeder Versuch, eine Vaterschaft nachzuweisen, zwecklos. Ich möchte wissen, wie viele Mütter in Waset ihren Ehegatten einen Bastard untergeschoben haben.«
»Du denkst sehr schlecht von uns Frauen«, beschwerte sich Anchesenamun.
»Dazu habe ich auch allen Grund«, lautete die Antwort des Pharaos.
Zum Glück hatte er aufgehört, sie zu schlagen, um den Namen seines Nebenbuhlers zu erfahren. Er mied aber auch weiterhin ihr Schlafgemach und hatte ihr kein einziges Mal beigewohnt. Anchesenamun war darüber sehr unglücklich. Sie wusste, dass Tut sich stattdessen mit einer Tänzerin vergnügte und mit ihr die Nächte verbrachte. Eigentlich hätte sie eifersüchtig sein müssen, doch wenn sie in sich hineinhorchte, dann fühlte sie nichts.
Manchmal fragte sie sich, wie sie all die zukünftigen Jahre an seiner Seite aushalten sollte. Wenn er sie nun gar nicht mehr anrührte? Dann würde es heißen, dass die Königin ihm keinen Thronfolger gebären konnte – und Tutanchamun konnte sich offiziell eine andere Frau nehmen.
Sie hatte sich ihr Leben anders vorgestellt, unkomplizierter, glücklicher. Als Kind hatte sie immer gedacht, dass man alle Freiheiten der Welt hatte, wenn man erwachsen war. Jetzt musste sie feststellen, dass die Aufgaben und Verpflichtungen sie überforderten.
Der Schweiß brach ihr aus. Der Weg zur Grabkammer war steinig, und es war anstrengend, mit den dünnen Sandalen zu gehen. Anchesenamun starrte auf den Sarkophag. Ihr Kind wurde zu Grabe getragen, das sie unter Schmerzen geboren hatte, ihre kleine Tochter. Sie war traurig, obwohl sie das Kind nie richtig hatte lieben dürfen. Wie konnte man etwas lieben, was nicht da war?
Eine Träne rollte aus Anchesenamuns Auge, während sie den Sargträgern folgte. Ihr war schwindelig vor Anstrengung. An diesem Tag hatte sie kaum etwas gegessen; wie so oft in der letzten Zeit hatte sie überhaupt keinen Hunger gehabt. Selket schimpfte täglich mit ihr und wies sie darauf hin, wie sehr ihre Kleider bereits schlotterten und dass ihre Rippen sichtbar waren. Manchmal aß sie nur Selket zuliebe etwas …
Das
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