Dem Pharao versprochen
Leinen schützte die feineren Stoffe vor Staub. Die Fremde legte erst eine Decke auf den Boden, dann wickelte sie darauf ihre Schätze aus. Es waren feinste Webereien, hauchdünne Stoffe, die aussahen, als seien sie aus Spinnweben gefertigt.
Anchesenamun beugte sich interessiert nach vorne.
Die Tuchhändlerin lächelte. »Ihr habt so etwas noch nie gesehen, oder? Seht hier, das ist ein ganz besonderes Stück.« Sie hielt einen Stoff hoch, der wie Gold schimmerte. »Dieses wertvolle Tuch ist aus Muschelseide. Das Material stammt aus dem Meer. Um es zu finden, tauchen Männer bis auf den Meeresgrund, denn es gibt nur wenige Muscheln, aus denen man diese Seide gewinnen kann. – Hier, Ihr dürft den Stoff gerne anfassen.«
Anchesenamun rieb das goldene Gespinst zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie war ganz fasziniert. Von Muschelseide hatte sie noch nie etwas gehört …
»Ihr wollt diesen Stoff haben, ja? Ich sehe es an Euren Augen! Das ist eine sehr gute Wahl! Niemand sonst soll ein Kleid aus diesem edlen Material tragen!«
Die Tuchhändlerin rollte den Stoff wieder behutsam zusammen und legte ihn zur Seite. »Aber ich habe noch mehr mitgebracht. Ihr sollt Euch all meine Stoffe ansehen.« Sie breitete ein purpurnes Tuch auf dem Boden aus. Es glänzte so, dass man sich fast darin spiegeln konnte. »Herrlich, nicht wahr? Erlaubt mir, dass ich den Stoff an Eure Brust halte! Ich glaube, diese Farbe steht Euch ausgezeichnet.«
Anchesenamun erlaubte es, und die Tuchhändlerin drapierte den Stoff um Brust und Schulter der jungen Königin. Dabei flüsterte sie ihr leise ins Ohr:
»Schickt die Dienerinnen für einen Moment hinaus. Ich habe eine wichtige Botschaft, die ich Euch übergeben soll. Aber es darf niemand etwas davon merken.« Die Tuchhändlerin kümmerte sich wieder um den Stoff, zupfte hier und korrigierte da. »Dieser Faltenwurf – phantastisch! Ein Kleid aus diesem Stoff wird ein Traum! Oh, Ihr müsst Euch daraus etwas schneidern lassen, Ihr seht wunderbar aus!«
Anchesenamun nickte geistesabwesend, zutiefst beunruhigt über die Worte, die ihr die Fremde zugeflüstert hatte. Von wem konnte die Botschaft stammen? Und warum war sie so wichtig, dass niemand sonst etwas davon erfahren sollte?
Es gelang ihr tatsächlich, die Dienerinnen unter einem Vorwand aus dem Raum zu schicken. Anchesenamun trug ihnen auf, einen großen Bronzespiegel zu holen, damit sie sich in ganzer Größe betrachten konnte. Der Spiegel war sehr schwer, eine Dienerin konnte ihn nicht allein tragen.
Kaum waren sie ungestört, griff die Tuchhändlerin in den Ausschnitt ihres Kleides und zog einen versiegelten Brief hervor.
»Lest ihn, wenn Ihr alleine seid. Übermorgen komme ich wieder, da könnt Ihr mir Eure Antwort mitgeben.«
»Von wem ist der Brief?«, fragte Anchesenamun.
Die Tuchhändlerin gab darauf keine Antwort. »Schnell, versteckt den Brief, bevor Eure Dienerinnen zurückkommen!«
Anchesenamun ließ den Brief in den Falten ihres Gewands verschwinden. Ihr Herz klopfte rasend schnell, aber sie versuchte, sich nichts von der Aufregung anmerken zu lassen. Die Tuchhändlerin tat ebenfalls so, als sei nichts gewesen, und als die Dienerinnen zurückkamen, hatte sie gerade zwei neue Stoffe ausgebreitet und wies auf die feinen Stickereien hin.
Anchesenamun kaufte den Stoff aus Muschelseide, das purpurne Tuch und zwei weitere Stoffe. Die Fremde war sehr zufrieden mit dem Handel, rollte die restlichen Stoffballen wieder zusammen und verabschiedete sich.
Anchesenamun konnte es kaum erwarten, allein zu sein. Sie zog sich in ihr Schlafgemach zurück unter dem Vorwand, ein wenig ruhen zu müssen. Selket fragte besorgt, ob es ihr nicht gut ginge.
»Es ist alles in Ordnung, ich bin nur etwas müde«, antwortete Anchesenamun. Sie legte sich aufs Bett und schloss die Augen. »Du musst nicht hierbleiben, wenn du etwas anderes zu tun hast. Ich brauche dich im Moment nicht.«
Selket zögerte. »Bist du sicher? Soll ich dir noch etwas bringen, etwas Saft oder ein wenig Gebäck?«
»Danke, aber ich brauche im Augenblick wirklich nichts«, sagte Anchesenamun. Sie hörte, wie Selket sich zurückzog und die Tür hinter sich schloss.
Die Königin setzte sich auf und holte den Brief aus ihrem Gewand hervor. Hastig erbrach sie das Siegel und rollte den Papyrus auf.
Ehrwürdige Große Königliche Gemahlin, liebe Anchesenamun,
erlaube mir, dass ich Dir einige Zeilen schreibe. Ich habe von Deinem schweren Schicksal gehört. Wie schlimm
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