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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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Dunkelziffer relativ hoch, da nur schwer nachzuweisen ist, ob der für den Fahrer tödliche ungebremste Aufprall seines Wagens auf ein Hindernis versehentlich oder absichtlich geschah. Es ist zu vermuten, dass diese Art der Selbsttötung häufigervorkommt als allgemein angenommen und in Statistiken ausgewiesen wird. Laut rechtsmedizinischer Statistiken ist in Deutschland jedoch bisher kein Fall bekanntgeworden, bei dem sich ein Mensch erwiesenermaßen in Selbsttötungsabsicht vor ein fahrendes Fahrzeug gelegt hätte, das kein Schienenfahrzeug war. Auch in größeren Obduktionsstatistiken und Auswertungen von nicht-natürlichen Todesfällen und Verkehrsunfällen oder Suiziden kommt diese Art der Selbsttötung nicht vor.
    An einen Suizid durch Überfahren glaubte also niemand von uns. Aber war der Mann vielleicht vorsätzlich getötet worden? Dass jemand gezielt überfahren wird, kommt zwar in Actionfilmen häufig vor, doch in der Kriminalitätsstatistik taucht so etwas nur äußerst selten auf. Eigentlich kein Wunder, da eine solche Tat immer sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt und der Täter durch die zahlreichen Zeugenaussagen meist sehr schnell gefasst wird. So kommt diese Art Tötungsdelikt eigentlich nur in zwei denkbaren Konstellationen vor: Erstens, nachdem die betreffende Person bereits auf andere Art und Weise getötet und erst anschließend auf die Straße gelegt worden ist. In diesem Fall hofft der Täter, dass die beim Überrollen oder Überfahren entstandenen Verletzungen gravierend genug sind, um die eigentliche Todesursache zu kaschieren und die Ermittler auf eine falsche Fährte zu lenken. Zweitens, indem eine bewusstlose (z.B. niedergeschlagene oder vergiftete) Person auf der Straße abgelegt wird und dann letztendlich durch die Kollision (Überrollen oder Überfahren) mit einem Fahrzeug stirbt. Zielist auch hier eine Verschleierung der vorherigen Straftat bzw. ein absichtliches Herbeiführen des Todes.
    Unsere Aufgabe war es also, festzustellen, ob unser Mann zum Zeitpunkt des Überfahrens bereits tot gewesen war. Das heißt: Wir fahndeten nach Vitalitätszeichen, kurz auch Vitalzeichen. Kräftig unterblutete Verletzungen, z. B. Hämatome der Haut, sind ein Beleg dafür, dass das Opfer zum Zeitpunkt des Überfahrens oder Überrollens noch gelebt hat, dass also Herzfunktion und Blutkreislauf noch aktiv waren. Denn Unterblutungen setzen ein schlagendes Herz voraus, das das Blut im Körper verteilt und den Blutdruck aufrechterhält. Eine Person, die solche Hämatome aufweist, muss zum Zeitpunkt des Unfalls folglich noch am Leben gewesen sein. Wenn jemand nach dem Tode überfahren oder überrollt worden ist, wird man bei der Obduktion keine deutlichen Hämatome finden. Nach dem Stillstand des Kreislaufs kommt es – wenn überhaupt – nur noch zu geringfügigen Unterblutungen von Verletzungen, da das Herz nicht mehr schlägt und somit Blutzirkulation und Blutdruck nicht mehr aufrechterhalten werden.
    Hätte sich der Mann in unserem Fall in suizidaler Absicht auf die Landstraße gelegt oder wäre er von einem Auto angefahren oder in bewusstlosem Zustand auf der Fahrbahn abgeladen und noch lebend mitgeschleift worden, hätten wir an seinem Körper und im Bereich der Verletzungen deutlich ausgeprägte Hämatome finden müssen. Doch wir fanden keine, weder in den abgeschliffenen Hautarealen noch in den klaffenden Wunden. Zudem enthielten Luftröhre und Bronchienkeine Schmutzpartikel von Straßenstaub, Asphalt oder Auspuffgasen.
    Ein weiteres wichtiges Vitalzeichen ist die sogenannte Blutaspiration, das Einatmen von Blut. Wenn es infolge eines Verkehrsunfalls zu einem Schädel-Hirn-Trauma mit Brüchen der Schädelbasis kommt, gelangt automatisch Blut aus der Schädelbasisfraktur in den Nasen-Rachen-Raum und wird bei erhaltener Atemfunktion über die Luftröhre eingeatmet. Dieses Blut sammelt sich schließlich in den tiefen Atemwegen und dient bei der Obduktion als Beweis dafür, dass das Opfer zur Zeit der Gewalteinwirkung noch gelebt hat. Doch obwohl unser Toter als Folge der Kollision mit dem Fahrzeug einen Schädelbasisbruch davongetragen hatte, fanden wir kein aspiriertes Blut in Luftröhre, Bronchien und Lungen. Damit stand fest: Der Mann war schon tot, als er von dem Auto erfasst wurde.
    Doch woran er stattdessen gestorben war, wussten wir damit immer noch nicht. Selbst eine natürliche Todesursache war nicht restlos auszuschließen, auch wenn sie sehr unwahrscheinlich war. Theoretisch

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