Dem Tod auf der Spur
Fahrzeug erfasst wurde.
d) Beim Anfahren des Fußgängers von der Seite (rechte oder linke Körperseite) verläuft der Schuhsohlenabrieb in Querrichtung (von links nach rechts oder umgekehrt).
Deshalb legt der Rechtsmediziner viel Wert darauf, dass neben den schon vorliegenden Ermittlungsergebnissen auch die Kleidungsstücke einschließlich der Schuhe im Rahmen der Obduktion mit begutachtet werden können.
Dass der uns zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Mann angefahren wurde, konnten wir ausschließen. Auch wenn es an Ober- und Unterschenkel des Toten starke Schleifverletzungen gab, fanden wir nicht das charakteristische Bruchmuster an den Unterschenkelknochen, das wir sonst nach einem Zusammenprall in aufrechter Position sehen. Auch Kopf und Oberkörper wiesen zwar diverse, teils schwerste Verletzungen auf, aber nicht die typischen Verletzungen, die entstehen, wenn das Unfallopfer beim Aufprall auf die Motorhaube oder mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe schlägt. Zudem sprachen die Schleifspuren am Körper des Verstorbenen dafür, dass er über mehrere Hundert Meter, wenn nicht sogar einige Kilometer, unter dem Auto mitgeschleift worden war. Dass der Tote keine primären Anstoßverletzungen aufwies, zeigte uns, dass der Mann, als das Fahrzeug ihn erfasste, schon auf der Fahrbahn gelegen hatte.
Dieses Teilresultat führte zur nächsten Frage:War der Mann überfahren oder überrollt worden?
Beim »Überfahren« berühren die Räder des Fahrzeugs nicht den Körper des Unfallopfers. So kann einÜberfahrener in seltenen Fällen sogar mit dem Schrecken davonkommen und gänzlich unverletzt bleiben. Wenn er nicht groß ist und das Fahrzeug einen hohen Radstand hat, berührt die Unterseite des Chassis ihn womöglich gar nicht.
Beim »Überrollen« hingegen kommt der Fußgänger im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder. Gemäß fachlicher Definition meint Überrollen das »Hinwegrollen eines oder mehrerer Räder eines Kraftfahrzeuges über den Körper oder die Gliedmaßen einer auf der Fahrbahn liegenden Person«. Nachzuweisen ist es meist dadurch, dass die Hämatome auf der Haut des Überrollten dem Profilmuster der Reifen entsprechen.
Sowohl das Überrollen als auch das Überfahren ruft gewöhnlich sehr viel stärkere Verletzungen hervor als das bloße Anfahren eines Fußgängers, besonders wenn das Opfer unter dem fahrenden Auto mitgeschleift wird. Zum anderen hinterlässt der direkte Kontakt von Unfallopfer und Auto auch meist Hinweise (Profilmuster, Ölreste, Lackspuren etc.), die es den Ermittlern ermöglichen, Tatfahrzeug, Fahrzeughalter und gegebenenfalls den Fahrer zum Zeitpunkt der Kollision ausfindig zu machen.
Auch in unserem Fall konnten wir am Körper des Toten Ölspuren und Schmutz von der Unterseite eines Fahrzeugs nachweisen. Sie fanden sich allesamt auf der Körperrückseite, teils auf Kleidungsresten, teils auf der Haut. Die Schleifspuren beschränkten sich dagegen auf die Vorderseite des Opfers. Schleifverletzungen am Bauch, Schmutz- und Ölspuren am Rücken – diese Kombination war für uns ein klarer Beleg, dass der Körper des Mannes bäuchlings liegend unter dem Fahrzeug mitgeschleift worden war. Da sich keine Abdrücke eines Reifenprofils an Haut oder Kleidungsresten des Toten fanden, sprach alles dafür, dass er vor dem Mitschleifen überfahren und nicht überrollt worden war.
Doch wie war es dazu gekommen? Konnte es sein, dass der Mann sich das Leben nehmen wollte und sich auf die Straße gelegt und gewartet hatte, bis ihn ein Auto überfuhr? Hat ein Mensch die Nerven dazu? Auf der harten, kalten Straße auszuharren, während sich mit großer Geschwindigkeit ein Auto nähert, die Vibrationen auf dem Asphalt zu spüren, das Motorengeräusch zu hören, das immer lauter wird, bis schließlich der grausame, teils gefürchtete, teils ersehnte Moment kommt und das Fahrzeug ihn erfasst? Und das alles ohne die Gewissheit, sofort tot zu sein und die brutalen Folgen nicht mehr erleiden zu müssen?
Suizid im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug gibt es vor allem in zwei Varianten. Variante eins: Ein Schlauch wird vom Auspuff ins Wageninnere geführt und der Motor angelassen. Ist der Innenraum genügend abgedichtet, kommt es zum Tod durch Kohlenmonoxidbzw. (bei eingebautem Katalysator) durch Kohlendioxidvergiftung. Variante zwei: Der oder die Lebensmüde rast in einem Wagen mit sehr hoher Geschwindigkeit gegen ein stabiles Hindernis. Bei dieser zweiten Suizidvariante ist die statistische
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