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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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anfühlen müsste, fühlt sich nach einigen Schnäpsen gar nicht mehr so kalt an. In diesem Sinne kann man aus medizinischer Sicht Alkohol getrost als »neurotoxisch«, also als Nervengift bezeichnen. Zudem hat Alkohol bei einem Blutalkoholspiegel von über einem Promille eine so stark gefäßerweiternde Wirkung, dass er den Wärmeverlust rapide beschleunigt. Erweiterte Gefäße geben ihre Wärme schneller an die Umgebung ab und nehmen im Gegenzug die Umgebungskälte von außen schneller auf, was dazu führt, dass der Mensch schneller auskühlt. Auch wird bei höherem Blutalkoholspiegel nicht nur das Temperaturempfinden gestört, sondern es werden auch die geistigen Funktionen eingeschränkt. So kommt der Erfrierende gar nicht auf die Idee, sich als Schutz gegen die Kälte zu bewegen oder sich so schnell wie möglich in die Wärme zu begeben. Ferner hat Alkohol, als ältestes Narkotikum unseres Kulturkreises, bekanntermaßen auch eine schmerzstillende Wirkung. Finger und Zehen fühlen sich dann gar nicht so kalt an, wie sie eigentlich sind. All diese Faktoren führen dazu, dass Betrunkene häufiger und schneller erfrieren als nicht Alkoholisierte.
    Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs, den ich mir als Hardrock-Freund nicht verkneifen kann – nämlich zu Bon Scott, dem am 19. Februar 1980 gestorbenen legendären ersten Sänger der australischen Hardrockband »AC/DC«. Auf dem im King's College Hospital in London ausgestellten Totenschein von Bon Scott steht als Todesursache »Alkoholvergiftung«. Von Fans wird seit Jahrzehnten kolportiert, er wäre an seinem Erbrochenen erstickt.
    Möglicherweise kennen Sie die Geschichte. Es war circa drei Grad über dem Gefrierpunkt an diesem Abend vor Scotts Todestag, als der Sänger mit seinem Kumpel Alistair Kinnear im Londoner Stadtteil Camden Townauf Kneipentour ging. Nach der durchzechten Nacht fuhr Kinnear beide in den frühen Morgenstunden mit seinem Renault nach Hause. Bon Scott war auf dem Beifahrersitz des Wagens eingeschlafen und nicht wach zu kriegen. Deshalb fuhr Kinnear zu sich nach Hause nach South London, um Bon Scott in seiner Wohnung auf die Couch zu legen. Doch als er den Schlafenden aus dem Auto hieven wollte, stellte er fest, dass Scotts Körper schwer wie Blei war und er ihn unmöglich tragen konnte. Kinnear ließ Bon Scott daher im Auto zurück, stellte vorher die Rücklehne des Beifahrersitzes, auf dem Scott schlief, so weit wie möglich nach hinten, damit der Schlafende flach liegen konnte, legte ihm einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer auf das Armaturenbrett und schleppte sich selbst ins Bett.
    Gegen elf Uhr morgens wurde Kinnear nach circa sechs Stunden Schlaf von einem Freund geweckt, der an der Tür klingelte. Noch reichlich wackelig auf den Beinen bat er den Freund darum, kurz zu seinem Auto zu schauen und ihm zu sagen, ob Bon Scott noch darin schlafen würde. Der Freund meinte, Bon sei nicht mehr da. Erleichtert darüber, dass es Scott offenbar wieder gutging und er nach Hause gegangen war, verkroch Kinnear sich wieder ins Bett und schlief weiter.
    Als Kinnear allerdings an diesem Abend zu seinem Auto ging, durchfuhr ihn der Schreck seines Lebens: Bon Scott lag noch immer im Wagen, genau so, wie er ihn in der Nacht zuvor zurückgelassen hatte. Hatte der Freund nicht behauptet, Bon Scott wäre nicht mehr im Auto gewesen? Hatte er den Schlafenden etwa nurnicht bemerkt, weil Kinnear am Abend zuvor den Beifahrersitz auf Liegeposition gestellt hatte? Oder hatte der Freund gar im falschen Auto nachgesehen? Kinnears Verwirrung schlug in Entsetzen um, als er die Tür des Wagens öffnete und merkte, dass Bon Scott nicht mehr atmete.
    Dass er an einer Alkoholvergiftung gestorben war (»Drunk to himself«, wie es wörtlich auf seinem Totenschein heißt), ist bei einem exzessiven Alkoholiker, wie Bon Scott es war, sehr unwahrscheinlich. Bon Scott lag bei circa drei Grad Celsius Außentemperatur stark alkoholisiert, nur mit einer Jeansjacke und einem T-Shirt nicht unbedingt winterfest bekleidet, sechzehn Stunden lang in Kinnears Wagen. Vor dem Hintergrund all dieser Tatsachen bin ich mir sicher, dass Bon Scott schlicht und einfach erfroren ist.
    Zurück zu der Frage, warum Egon Gillert fast nackt gewesen war, als die Rentnerin ihn entdeckt hatte.
    »Keine Zeichen von todesursächlicher oder mittodesursächlicher Gewalteinwirkung«,
    diktierte ich für das Sektionsprotokoll. Egon Gillert war weder misshandelt oder sexuell

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