Dem Tod auf der Spur
eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«
Phänomene wie paradoxes Entkleiden auf einem Kinderspielplatz bei 10 Grad unter Null oder Obdachlose, die sich bei eisiger Kälte nach einer Prügelei ausziehen, wirken so grotesk, dass manch einer nicht nur den Kopf schüttelt, sondern sich auch ein Grinsen nur schwer verkneifen kann. Das Grinsen vergeht einem jedoch spätestens dann, wenn man weiß, wo ein Großteil des Wissens der modernen Medizin über Hypothermie und Kältetod seinen Ursprung hat.
Es ist allgemein bekannt, dass die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern, insbesondere in Dachau und Auschwitz, medizinische Experimente mit Häftlingen durchgeführt haben. Zunächst hatten die Stabsärzte von Armee und Luftwaffe festgestellt, dass Tierversuche nicht die gesuchten Ergebnisse brachten. Ihr Auftrag: Nach wissenschaftlichen Grundlagen zu forschen, auf denen sich neue Rettungsanzüge für Marinesoldaten und Piloten entwickeln ließen, die vor extremen Umgebungstemperaturen, z.B. im eisigen Wasser der Nord- und Ostsee, schützten. Daher ging man in einem nächsten Schritt zu Menschenversuchen über – orchestriert von der deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt und unter der »Schirmherrschaft« des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, einem der Hauptverantwortlichen für den Holocaust.
Bei diesen Experimenten ließ man zum Beispiel Häftlinge nackt oder auch mit einer Fliegeruniform bekleidet in Eiswasser schwimmen und leitete gleichzeitig ihre Herzfunktion über EKG-Elektroden ab und maß die Rektaltemperatur. Andere KZ-Häftlinge legte man stundenlang in eisigen Winternächten nackt und gefesselt auf die Erde und überschüttete sie in regelmäßigen Abständen mit kaltem Wasser, um die Rolle von Wasser als Beschleuniger des Erfrierungstodes zu untersuchen. Wieder andere wurden abwechselnd mit Eiswasser und kochend heißem Wasser überschüttet. Auch vor Kindern und Babys machten die Nazischergen nicht halt. Dass dies barbarische Quälereien durch Sadisten waren, steht außer Frage. »Sofern es prinzipiell dem Wohl des Staates dient, sind Menschenversuche zu tolerieren«, war Hitlers Ansicht zu diesen medizinischen Folterungen.
Gedanken an die Schmerzen der Opfer verschwendete man nicht. Aus den Akten der Nürnberger Prozesse ist zu entnehmen, dass die KZ-Ärzte ihre Opfer schließlich narkotisieren mussten – was sie vorher aus Kostengründen nicht getan hatten –, da die Schmerzenschreie so laut waren, dass sie auch in den Ortschaften rund um das Lager zu hören waren und so für unerwünschte Aufmerksamkeit sorgten.
Leider kann man diese Versuche nicht als Barbarei einer längst überwundenen Vergangenheit abtun, mit denen wir nie mehr etwas zu tun haben. Denn die Resultate dieser Experimente sind dem modernen Mediziner allgegenwärtig. Das Perverse – mir fällt wirklich kein passenderes Wort ein – ist, dass ein Großteil des medizinischen Wissens in den gegenwärtigen universitären Physiologiebüchern zu Thermoregulation und Erfrierungstod und auch das, was wir Rechtsmediziner über den Tod durch Unterkühlung wissen, seinen Ursprung in den Menschenversuchen der KZ-Ärzte hat.
Entzweigeteilte Ermittlung
Das rechtsmedizinische Obduktionsprotokoll ist Teil eines jeden strafrechtlichen Todesermittlungsverfahrens und wird daher immer dann angefertigt, wenn es um einen nicht natürlichen Tod geht bzw. um den Verdacht, dass es sich um einen solchen handelt. In diesem Kapitel gebe ich Ihnen einen ausführlichen Einblick in ein solches Protokoll; damit können Sie mir bei meiner Arbeit noch etwas genauer als bisher über die Schulter blicken. Die folgenden Auszüge stammen aus einem authentischen, wenn auch aus rechtlichen Gründen anonymisierten Protokoll zu einem spektakulären Fall, mit dem unser Institut betraut war.
PROTOKOLL
über die am xx.xx.xxxx
im Institut für Rechtsmedizin xx
durch die Ärzte
1. Prof. Dr. med. Michael Tsokos
2. Dr. med. xx
unter Assistenz von
3. Frau xx
vorgenommene Leichenöffnung
Die Leichenöffnung führte zu den nachstehenden, zunächst auf Tonträger aufgenommenen Ergebnissen.
A. ÄUSSERE BESICHTIGUNG
Die Augen geöffnet. Vorquellung der Augäpfel, die Hornhäute
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