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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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Außerdem wurden in den Taschen noch gut 25 Euro Bargeld gefunden.
    Allmählich hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, die hinter der Absperrung neugierig den Ermittlern bei der Arbeit zusah. »Das ist doch der Egon«, sagte plötzlich einer der Männer zu einem Kriminalbeamten. Der Mann berichtete, dass der in dem Sandkasten liegende tote Mann sein »Kumpel« Egon Gillert sei. Auch einige andere Anwohner identifizierten nun den Toten als Egon Gillert. Und sie alle stellten eine Verbindung her zu Alkohol und Saufgelagen.
    Egon Gillert, 41 Jahre, arbeitslos, wohnte in einem Hochhaus ganz in der Nähe. Offenbar alkoholabhängig, mit großem Bekanntenkreis in der Trinkerszene. Doch niemand wusste von irgendwelchen Feinden oder vorherigen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Und keiner der vor Ort anwesenden Zeugen hatte Gillert am Abend oder in der Nacht zuvor gesehen.
    Als die Profis von der Mordkommission eingetroffen waren, hatten sie bereits einen Verdacht, was geschehen sein konnte, aber: Eine endgültige Klärung würde erst die Obduktion des Toten bringen können.
    Neben auffallend hellrötlichen Leichenflecken, die sich auf kräftigen Druck mit dem Finger noch wegdrücken  – das heißt: kurzfristig zum Verschwinden bringen – ließen und der noch nicht vollständigen Leichenstarre fielen mir als Erstes die violetten Hautverfärbungen an den Streckseiten beider Ellbogen sowie an der Vorderseite der rechten Kniescheibe auf. Diese violetten Hautverfärbungen, die sich deutlich von der umgebenden intakten Haut abgrenzten, ließen sich auf Fingerdruck nicht wegdrücken. Solche Verfärbungen, die manchmal auch scharlachrot aussehen und sich typischerweise an den Streckseiten größerer Gelenke wie eben Knie oder Ellenbogen finden lassen, werden in der Rechtsmedizin »Kälteflecken« genannt. Denn sie weisen darauf hin, dass der Verstorbene kurz vor seinem Tod aller Wahrscheinlichkeit nach stark unterkühlt war. Dies war in unserem Fall nicht verwunderlich, da die Temperatur in der Nacht bis auf minus 10 Grad gesunken war. Nahezu 90 Prozent der an Unterkühlung Gestorbenen haben solche Kälteflecken an Knien oder Ellenbogen. Auch die auffallend hellrötliche Farbe der Leichenflecke (die üblicherweise blauviolett oder blaugrau sind) war typisch für eine Unterkühlung.
    Hieß das nun zwangsläufig, dass Egon Gillert erfroren war? Nein. Überhaupt lässt sich Unterkühlung (»Erfrieren«) als Todesursache durch eine Obduktion, eine toxikologische Analyse oder andere rechtsmedizinische Untersuchungsmethoden nicht wirklich beweisen. Man kann als Rechtsmediziner nur durch Ausschluss aller anderen möglichen Todesursachen beim Erfrieren als der einzigen noch übrigen Todesursache ankommen. Man nennt das eine »Ausschlussdiagnose«.
    Natürlich gibt es auch bei dieser Diagnose zusätzliche Kriterien. So spielen die genaue Untersuchung des Leichenfundortes und die Dokumentation der Umgebungstemperatur und Windverhältnisse, bei denen ein Toter aufgefunden wird, eine entscheidende Rolle.
    Bei dem Mann aus dem Sandkasten war mir noch etwas anderes aufgefallen: Die Leichenstarre des Verstorbenen war auch jetzt, als er bei uns auf dem Obduktionstisch lag, nicht vollständig. Beim Berühren von Armen und Beinen gaben die Gelenke noch etwas nach, waren also noch nicht starr. Das hieß, dass Gillert noch nicht lange tot sein konnte, denn bis zur kompletten Leichenstarre dauert es nur wenige Stunden.
    Allerdings hatten die Kollegen von der Spurensuche bereits am Einsatzort mit einem speziell dafür entwickelten Thermometer die Rektaltemperatur gemessen: 23 Grad. Nach der Temperaturmethode zur Todeszeitbestimmung bedeutete das, dass Egon Gillert schon deutlich früher nicht mehr am Leben gewesen war.
    Der Hintergrund für die Temperaturmethode: Nachdem die Körpertemperatur eines Toten innerhalb der ersten drei Stunden nach Eintritt des Todes relativ konstant bei 37 Grad Celsius bleibt, sinkt sie in der Folge um jeweils ein Grad Celsius pro Stunde. Deshalb lässt sich bei Kenntnis der Umgebungstemperatur anhand der Rektaltemperatur die ungefähre Todeszeit schlicht errechnen. In unserem Fall: 37 (Grad durchschnittliche Körpertemperatur) + 3 (Stunden ohne Temperaturänderung) – 23 (Grad Körpertemperatur des Toten) =17 (Stunden seit Todeszeitpunkt vergangen).
    Dies passte auf den ersten Blick nicht zu der unvollständigen Leichenstarre. Einundzwanzig Stunden nach dem Tod, so viele wären nach dieser Berechnung zum

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