Dem Tod auf der Spur
aufgefunden.
Der Mann auf dem Sektionstisch war allerdings draußen in der Kälte erfroren – bei minus 10 Grad im Sandkasten. Als wir die Bauchdecke aufschnitten, strömte uns ein
»kräftiger, aromatischer, sehr wahrscheinlich alkoholischer Geruch«
entgegen, wie ich im Protokoll vermerkte. Der Begriff aromatisch als Umschreibung für einen fraglichen Alkoholgeruch (ähnlich dem süßlichen Geruch von gärendem Obst), den der Obduzent wahrnimmt, hat sich in der Rechtsmedizin durchgesetzt, auch wenn Speisealkohol (Ethanol) in der organischen Chemie nicht zu den »aromatischen Verbindungen« gezählt wird. Nachdem ich den Magen des Toten, dem ebenfalls ein starker aromatischer Geruch entströmte, aufgeschnitten hatte, entdeckte ich einen weiteren Hinweis auf einen Tod durch Unterkühlung: Die Magenschleimhaut zeigte an vielen Stellen zwischen 0,2 und 0,6 Zentimeter durchmessende rundliche schwarze Flecken, die der Magenschleimhaut das Aussehen eines Leopardenfells verliehen. Dies ist der typische Befund sogenannter »Wischnewsky-Flecken«, benannt nach ihrem Erstbeschreiber, einem russischen Rechtsmediziner. Solche Flecken entstehen dadurch, dass bei Unterkühlung das Blut im Körper langsamer zirkuliert und sich infolgedessen nicht nur Thrombosen bilden, sondern sich auch der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, in Gefäßen der Magenschleimhaut ablagert. Nach dem Tod eines Menschen kommt es zur »Andauung« (nur in Fachkreisen gebräuchliches Wort für »teilweise Verdauung«) der Magenschleimhaut durch die im Magensaft befindlicheSalzsäure. Bei Unterkühlten wird zusätzlich das in den Gefäßen der Magenschleimhaut abgelagerte Hämoglobin angedaut, das sich dadurch bedingt schwarz verfärbt und die besagten Wischnewsky-Flecken hervorruft.
Als weiteren pathologischen Befund diagnostizierten wir bei Gillerts Leiche eine Fettleber – ein klares Indiz für jahrelangen starken Alkoholkonsum.
Kurz vor Ende der Obduktion erhielten wir von unserem toxikologischen Labor das Ergebnis der Blutalkoholanalyse von Gillert: 1,89 Promille. Damit war nicht nur klar, warum dem Toten nach Öffnung von Bauchhöhle und Magen ein aromatischer Geruch entströmt war, sondern auch, dass Gillert zum Zeitpunkt seines Todes und damit zwangsläufig auch in der Phase seiner Unterkühlung ganz erheblich alkoholisiert gewesen war. Da die Leber nach dem Tod den Alkohol im Blut nicht weiter abbaut, entspricht die im Labor festgestellte Blutalkoholkonzentration dem Blutalkoholspiegel zum Zeitpunkt des Todes. Abgesehen von der Fettleber fanden sich bei der Untersuchung der übrigen inneren Organe keine weiteren krankhaften Veränderungen, die den Tod Gillerts hätten erklären können. Alles sprach somit für eine »Unterkühlung in Kombination mit höhergradiger Alkoholisierung«.
Aber was hatte Gillert veranlasst, sich fast komplett zu entkleiden und all seine Kleidung um sich herum zu verstreuen, wenn niemand sonst vor Ort gewesen war? Die naheliegende Antwort – »der viele Alkohol in seinem Blut« – ist nur die halbe Wahrheit.
Alkohol als Sterbehelfer beim Erfrierungstod ist keine Seltenheit – im Gegenteil. Die meisten Erfrierungsopfer stehen zum Zeitpunkt des Todes unter Alkoholeinfluss; meist sogar mit einer Blutalkoholkonzentration von zwei bis drei Promille.Alkohol ist definitiv der wichtigste Risikofaktor für eine tödlich verlaufende Hypothermie.
Wie aber wirkt Alkohol als Prozessbeschleuniger des Erfrierens?
Gewöhnlich hält der menschliche Organismus mit Hilfe des Wärmeregulationszentrums, das im Hypothalamus – dem Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems – und im limbischen System des Gehirns lokalisiert ist, die Körpertemperatur von knapp 37 Grad Celsius konstant aufrecht. Diese Wärmeregulierung steuert dabei nicht nur die Wärmeproduktion, sondern auch den Wärmeerhalt unseres Körpers. Nun sollte man denken, dass Alkohol doch eigentlich eher Wärme verbreitet als Wärme entzieht. Haben doch die meisten Nichtabstinenzler schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Alkohol bereits in geringer Dosis, z.B. ein kleiner Schnaps auf der Skihütte, ein wohliges Wärmegefühl erzeugt. Alkohol erweitert die Blutgefäße in der Haut und verstärkt damit die Hautdurchblutung, dies sorgt für ein trügerisches Gefühl von Wärme. In höheren Konzentrationen verändert Alkohol zusätzlich noch die Wahrnehmung der Außentemperatur durch unser Wärmeregulationszentrum im Gehirn. Was sich eigentlich kalt
Weitere Kostenlose Bücher