Dem Tod auf der Spur
erfahren und über die Details der nicht immer alltäglichen Recherchen am toten menschlichen Körper.
In diesem Buch werde ich von zwölf Todesfällen berichten und anhand dieser Fälle, die sich alle genau so ereignet haben und von mir in den letzten Jahren untersucht worden sind, die Methoden und Untersuchungstechniken der Rechtsmedizin erläutern. In manchen Kapiteln geht es mehr um den Fall und die Rätsel, vor denen die Ermittler standen, in anderen erfahren Sie mehr über Zusammenhänge und Phänomene wie »Leichendumping« oder »Suizidales Höhlenverhalten«. Namen, Daten und Orte habe ich selbstverständlich geändert (außer im allgemein bekannten und medial bereits ausführlich dargestellten Fall Jessica), um die Persönlichkeitsrechte der Toten und ihrer Angehörigen zu schützen.
Es sind nicht die »Brisanten Fälle auf dem Seziertisch«, wie ein emeritierter Kollege sein Buch nannte, sondern es ist die alltägliche Arbeit des Rechtsmediziners, die die Menschen interessiert. Und so müssen Sie hier auch nicht zum zwanzigsten Mal lesen, wie Marilyn Monroe starb, oder neue Verschwörungstheorien zum Attentat auf John F. Kennedy über sich ergehen lassen. Stattdessen gebe ich Ihnen einen Einblick in den rechtsmedizinischen Arbeitsalltag.
Tötungsdelikte, also Todesfälle durch Mord und Totschlag, sind für den erfahrenen Rechtsmediziner vergleichsweise einfach zu bearbeiten. Mit wie vielen Messerstichen ein Mensch getötet wurde, aus welcher Richtung und mit welcher Wucht sie auf das Opfer trafen und auch, welche Art von Messer (einschneidig, zweischneidig, mögliche Klingenlänge und -breite) die Verletzungen verursachte, all das sind Routinefeststellungen,die »lediglich« gute medizinische und physikalische Grundkenntnisse und eben rechtsmedizinische Erfahrung voraussetzen. Spannender sind die Todesfälle, die keine öffentliche Aufmerksamkeit durch Fernsehen oder Printmedien bekommen, Fälle, die zur täglichen Routinearbeit im Sektionssaal gehören und sehr wohl rechtsmedizinisch wie kriminalistisch anspruchsvoll sind. Bei diesen Fällen ist neben unserem rechtsmedizinischen Handwerkszeug auch eine gehörige Portion Kombinationsgabe und Akribie bei der Rekonstruktion der Geschehnisse gefragt. Und gerade das Beachten kleiner Details (die oft genug den Weg zur Lösung des Falls weisen) zeichnet im Verbund mit einer großen Hartnäckigkeit den guten Rechtsmediziner aus. Da muss es nicht immer brisant zugehen.
Kaum jemand kennt die Grundlagen, Methoden und Techniken unserer täglichen Obduktionspraxis oder weiß Näheres über die tatsächliche Rolle der Rechtsmedizin. So laufen kriminalistische Ermittlungen nicht in der Rechtsmedizin zusammen, wie es manchmal gerne dargestellt wird, sondern die Ergebnisse unserer Arbeit sind häufig nur Teile in einem großen Puzzle, wenn auch meist entscheidende.
Beim Lesen dieses Buches werden Sie Zeuge, wie meine Kollegen und ich Beweise sammeln, Ungereimtheiten nachgehen und Obduktionsprotokolle erstellen. Sie werden erleben, wie das rechtsmedizinische Team Licht in das Dunkel bringt, in dem zunächst noch die Nacht des Todes herrscht.
Der Beruf des Rechtsmediziners ist wie kein anderer. Und auch die hartgesottensten Thriller-Fans unterIhnen werden mir am Ende des Buches zustimmen, wenn ich sage: Die Fiktion ist nicht bigger than life – es ist genau umgekehrt.
Michael Tsokos
Berlin, im Frühjahr 2009
Die (un)bekannte Wahrheit – ein erster Blick hinter die Kulissen
Jeder, der hin und wieder einen Krimi liest oder sich im Fernsehen einen »Tatort« oder auch im Kino einen amerikanischen Thriller ansieht, weiß längst, wie es in einem Obduktionssaal zugeht:
Der Rechtsmediziner arbeitet grundsätzlich allein in seinem im Keller gelegenen weiß gekachelten Raum. Jede weitere Person wäre nur Ablenkung, außerdem kann man den Angehörigen bei der Identifizierung des Toten nicht mehrere Zuschauer zumuten. Das Licht dort unten ist absichtlich etwas diffus, um den Schock zu mindern, den der Tod auch für den zuständigen Rechtsmediziner bedeutet.
Der Stahltisch mit der zu begutachtenden Leiche steht meist in der Mitte des karg eingerichteten Saals. Dort bleibt die oder der Tote so lange liegen, bis für die Mordkommission, wenn es sich denn um Mord handelt, der Fall abgeschlossen ist. Der Grund ist einleuchtend: Durch den Verlauf der Ermittlungen können sich immer wieder neue Fragen ergeben, die sich dann gleich an der Leiche beantworten lassen. Es
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