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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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Zerschneiden der Organe benutzen wir häufiger eine Schere statt eines Messers, weil Luftröhre und Bronchien, viele Gefäße oder Hohlorgane wie Magen, Blase oder Gallenblase mit einem Messer nicht sauber geöffnet werden können. Zudem schneidet man sich mit einer Schere nicht so leicht, denn wegen der Infektionsgefahr sind in der Rechtsmedizin alle sehr darauf bedacht, sich beim Sezieren nicht zu verletzen. Einige Kollegen tragen als zusätzlichen Schutz Teflon-Handschuhe unter ihren Gummihandschuhen.
    Als Nächstes legte mir der Sektionsassistent den Magen samt Speiseröhre auf den Organtisch. Die Speiseröhre ist in etwa so dick wie der Zeigefinger eines Menschen und damit sehr viel dünner, als man sich wohl gemeinhin vorstellt. Ich öffnete Magen und Speiseröhre und entdeckte auch hier dieselben Rußablagerungen. Der Tote hatte diese Partikel also eingeatmet und auch verschluckt – er musste zum Zeitpunkt des Brandausbruchs noch am Leben gewesen sein. Auch eine hohe Konzentration von Kohlenmonoxid im Blut ist ein Beleg dafür, dass das Todesopfer zum Zeitpunkt des Feuers noch am Leben war. Das Kohlenmonoxid wird mit dem Rauch des Feuers eingeatmet und gelangt über Luftröhre und Bronchienin die Lungen und von dort aus ins Blut. Am besten kann man den Gehalt dieses Gases im Herzblut feststellen.
    Um Herzblut für die toxikologische Untersuchung zu gewinnen, schneiden wir mit einer Schere den Herzbeutel, der das Herz umschließt, auf und heben das Herz an der Spitze aus dem Herzbeutel heraus. Dann werden die großen Gefäße, die zum Herzen hin- bzw. davon wegführen, mit einem Messer eingeschnitten und das aus dem kopfüber gehaltenen Herzen herauslaufende Blut in einer Schöpfkelle aufgefangen – einem Instrument, das einer Suppenkelle vergleichbar ist.
    Nur selten nehmen wir zum Aufschneiden der Leiche und zum Entnehmen der Organe wie dem Herzen Einweg-Skalpelle. Die Messer, die wir benutzen, haben robuste längliche Klingen mit Kunststoffgriff, nicht unähnlich denen, die auch in Metzgereien verwendet werden. Diese Messer werden regelmäßig geschliffen und ausgetauscht. Auch bei uns gilt: Mit einem stumpfen Messer ist die Verletzungsgefahr deutlich größer als mit einem scharfen.
    Im Labor stellten die Kollegen später einen Kohlenmonoxidgehalt von fast 60 Prozent in Wilkens’ Herzblut fest. Auch das war ein klares Indiz dafür, dass er zum Zeitpunkt des Brandes noch gelebt hatte und sehr wahrscheinlich durch das Feuer ums Leben gekommen war. Damit war ein Brandmord also eindeutig ausgeschlossen.
    Das hieß für die Ermittler: Entweder hatte der Tote selbst das Feuer gelegt, oder es war Brandstiftung. Doch wozu setzt jemand eine verwahrloste Wohnung ohnejegliche Wertgegenstände in Brand? Die naheliegende Vermutung: Um den Bewohner zu töten. Damit hätten wir es mit etwas zu tun, was äußerst selten vorkommt: mit einem sogenannten Mordbrand. Hierbei ist das Feuer sozusagen die Tatwaffe.
    Für die Identifizierung entnahmen wir auch in diesem Fall während der Obduktion Ober- und Unterkiefer des Toten. Da das Gebiss des Toten völlig verkohlt war, mussten die Kiefer vor der Befunderhebung und Archivierung sorgfältig mit einer Zahnbürste gereinigt werden, um eventuell vorhandene Plomben, Kronen und Brücken für den späteren Abgleich mit einem Zahnschema überhaupt erst freizulegen.
    Die Zähne des Toten passten zwar zu Hendrik Wilkens’ verwahrlostem Zustand, den die Zeugen beschrieben hatten: Fast alle Zähne waren vollkommen kariös und verfault. Das erschien aber für eine spätere Identifizierung mittels eines Zahnschemas von Hendrik Wilkens eher von zweifelhaftem Wert.
    Für die Identifizierung eines unbekannten Toten wird bei der Obduktion routinemäßig eine Blutprobe für eine DNA-Analyse asserviert. Dafür schneidet der Sektionsassistent entweder die Schenkelvene oder etwas höher die Beckenvene auf. Das Blut befindet sich auch bei Leichen noch in den Gefäßen. Da das Blut durch den Stillstand des Herzens nicht mehr weitertransportiert wird, sind die Gefäße bei Toten meist noch gut mit Blut gefüllt – es sei denn, der Betreffende ist verblutet oder litt vor seinem Tod an einer Anämie, einer Blutarmut. Durch Druck auf den Oberschenkel, den man vom Knie bis zur Hüfte aufbaut, kann man die Vene sozusagen »auspressen« und mit einer Schöpfkelle Blut für spätere DNA-Analysen oder auch toxikologische Untersuchungen entnehmen. Das Blut für die DNA-Untersuchung wird auf ein

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