Dem Tod auf der Spur
Abfall. Pizzakartons, leere Konservendosen, Essensreste, Kleidung und Unterwäsche bedeckten den gesamten Fußboden. Nur die stockfleckige, schimmelige Couch, die an der Wand gegenüber dem Fenster stand und auf der Wilkens häufig den ganzen Tag liegend und Schnaps trinkend vor dem mit voller Lautstärke laufenden Fernseher zubrachte, hätte sich aus diesem Meer von Unrat erhoben. Dusche und Toilette hätten nicht besser ausgesehen. Erstere sei so verkalkt gewesen, dass man davon ausgehen musste, dass sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden war. Die Toilette sei zwar benutzt, aber wohl ebenso lange nicht mehr gespült worden. Die gesamte Wohnung sei von einem bestialischen Gestank erfüllt gewesen. Dass die Nachbarn ihre Balkontüren nicht mehr öffnen mochten, sei da kein Wunder gewesen, so der Sozialarbeiter.
Wenige Tage nach der Obduktion hatte die Kripo den Fall schließlich gelöst. Es war tatsächlich Mordbrand gewesen. Doch die Tatumstände hörten sich so unwahrscheinlich an, als hätte ein Thriller-Autor es mit der Glaubwürdigkeit nicht so genau genommen: Hendrik Wilkens’ Mörder war ein ebenfalls psychisch kranker Mann, der Tür an Tür mit ihm gelebt hatte. In der Nachbarschaft nannte man ihn schon seit langem »den Guru«, da er ständig behauptete, mit überirdischen Mächten in Kontakt zu stehen.
Der Kripobeamte, der bei der Durchsuchung der Wohnung des später überführten und verurteilten Täters zugegen gewesen war, beschrieb mir später eindrücklich deren Einrichtung. Die Wände waren über und über mit Talismanen und Pentagrammen übersät, die Fensterscheiben zugehängt. Altäre mit Vogelskeletten säumten die vergilbten Wände, dunkle Tücher mitSpinnennetzen hingen von der Decke, und auf seltsamen, improvisiert zusammengeschusterten Steinaltären standen schwarze Kerzen. Zu den wenigen Einrichtungsgegenständen im Wohnzimmer gehörte ein schwarzer Sarg.
Nachdem sich der Bewohner dieser Räume zunächst in Widersprüche verstrickt hatte, gestand er schließlich, Hendrik Wilkens im Schlaf angezündet zu haben. Der Grund sei gewesen, dass Wilkens ständig im Treppenhaus und auf der Terrasse der Wohnung randaliert und ihn dadurch in seiner Meditation und Kontaktaufnahme mit den Geistern gestört habe. Also war er in besagter Nacht mit dem Benzinkanister und der Spritze durch das Küchenfenster geklettert und hatte das Benzin erst über den auf der Schlafcouch liegenden Wilkens und dann im gesamten Raum verteilt und schließlich mit dem Benzin in der Spritze eine »Lunte« zur Küche gelegt. Kurz nach dem Anzünden der Benzinlunte stand die Wohnung in Flammen. Überrascht von der Heftigkeit der Explosion und von Wilkens’ gellenden Hilfeschreien ließ er seine Utensilien am Tatort zurück und versteckte sich im Keller der Wohnanlage, wo er wenig später auch von einem der Nachbarn gesehen worden war. Dieser Nachbar hatte die Polizei in seiner Zeugenaussage schließlich auf die Spur des »Gurus« geführt.
Das spätere psychiatrische Gutachten des »Gurus« Rudolph Keil ergab eine schwere paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit dadurch bedingter Schuldunfähigkeit. Es wurde vom Gericht die Sicherheitsverwahrung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt angeordnet.
Zwei psychisch gestörte Menschen hatten lange Zeit Tür an Tür gewohnt, nicht betreut in einem Heim, sondern alleinverantwortlich in einem gewöhnlichen Mietshaus. Und nun würde keiner von ihnen mehr in seine Wohnung zurückkehren.
Der Mann, der vom Himmel fiel
Der Mann lag rücklings auf der Rasenfläche vor einem Gehweg in Berlin-Friedrichshain. Seine Arme lagen in den Schulter- und Ellenbogengelenken leicht angewinkelt neben dem Kopf. Seine Kleidung sah auffallend ordentlich aus, nicht wie nach einem Kampf oder sonstiger Gewalteinwirkung. Jacke, Pullover und T-Shirt waren nur ein kleines Stück über seinen Bauchnabel hochgerutscht und gaben den Blick auf die sehr blasse, aber unverletzte Haut oberhalb der Jeans frei. Kopf und Gesicht des Mannes waren dagegen blutüberströmt, und im Gesicht zeigten sich flächenhafte Hautschürfungen, die die Haut der gesamten Stirn, den Nasenrücken, den linken Nasenflügel und die linksseitige Jochbein- und Wangenregion in Mitleidenschaft gezogen hatten.
Ein Portemonnaie,Ausweispapiere oder sonstige persönliche Dokumente führte er nicht bei sich. Eine erste vorsichtige Drehung des Toten zeigte, dass Jacke und Hose mit Erde und einer
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