Dem Tod auf der Spur
verbrannten Leiche immer noch den Zahnstatus feststellen oder eine DNA-Analyse durchführen kann. Diese Beweise werden erst dann vernichtet, wenn das Opfer mindestens ein bis anderthalb Stunden einer Temperatur von 800 °C oder mehr ausgesetzt ist und nichts weiter als ein Häufchen Asche von dem übrig bleibt, was vorher mal ein Mensch war.
2. Frage: Hat das Opfer zum Zeitpunkt des Brandes noch gelebt?
Bei eindeutigen Hinweisen auf ein Tötungsdelikt vor der Explosion würden wir keine Vitalitätszeichen finden. War der Mann aber zum Zeitpunkt des Brandausbruchs noch am Leben gewesen, musste er Ruß eingeatmet haben. In dem Fall würden wir also in Luftröhre und Bronchien auf Rußpartikel stoßen. Die wären dann ein eindeutiger Beweis, dass der Mann durch das Feuer gestorben war. Der Umkehrschluss funktioniert allerdings nicht. Der Grund dafür: Wird sehr viel Brandbeschleuniger eingesetzt, kann die Heftigkeit der Explosion dazu führen, dass der Betroffene derartig schnell vom Feuer getötet wird, dass er keinen Ruß mehr einatmet oder verschluckt. Der Rechtsmedizinerfindet in diesem Fall nur leichte Rußablagerungen im oberen Kehlkopf, aber nicht in den tieferen Abschnitten der Luftröhre oder in den Bronchien.
Entsprechend der rechtsmedizinischen Routine begannen wir zunächst mit der äußeren Leichenschau:
Gesicht und Körper des Toten waren vollständig verkohlt, die Haut war aufgeplatzt, und rötliches Fleisch schimmerte unter der schwarzen Oberfläche hervor.
Fast wie Lava in einem Vulkan, dachte ich. Manchmal kommen mir solche Bilder in den Kopf, wenn ich einen Toten obduziere. Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor dem Toten zu tun. Ich denke, es ist eher wie bei jemandem, der lange im Zug sitzt und in den am Fenster vorüberziehenden Wolken Tiergestalt oder Gesichter sieht. Vermutlich helfen mir solche Assoziationen auch dabei, den nötigen Abstand zu wahren und meine Arbeit sachlich zu erledigen.
Der Leichnam lag leicht zusammengekrümmt auf dem Seziertisch. Bei dieser Haltung sprechen wir Rechtsmediziner von der »Fechterstellung« oder »Boxerstellung«. Arme und Beine – bzw. das, was hier noch davon übrig war – waren angewinkelt, der Rücken gebeugt. Durch extreme Hitze schrumpfen die im Vergleich zu den Streckmuskeln weitaus kräftiger ausgebildeten Beugemuskeln in Armen und Beinen, so dass Brandleichen grundsätzlich eine kauernde und in den Extremitäten angewinkelte Haltung annehmen – ähnlich wie ein Fechter oder ein Boxer, der sich auf einen Angriff vorbereitet.
In der Haut neben den Augenlidern, kurz unterhalb beider Schläfen, hoben sich zarte weiße Streifen vondem ansonsten schwarz verkohlten Gesicht ab. Diese speziellen »Krähenfüße« können dafür sprechen, dass das Opfer bei Ausbruch des Feuers noch gelebt hat – es hat reflexartig die Augen zusammengekniffen, als das flammende Inferno losbrach.
Unter den interessierten Blicken der anwesenden Medizinstudenten und Kripoleute begannen wir dann die innere Leichenschau. Der Sektionsassistent öffnete Brust- und Bauchhöhle, während der zweite anwesende Arzt damit begann, die Kopfhaut herunterzuziehen und die Schädeldecke zu öffnen, um das Gehirn zu entnehmen.
Äußerlich ließ sich das Geschlecht des Leichnams nicht mehr feststellen. Dazu war die gesamte Körperoberfläche zu stark verbrannt und verkohlt, was bei Brandleichen häufig der Fall ist. Brüste oder Penis und Hodensack waren quasi ein Raub der Flammen geworden. Als aber die Bauchhöhle geöffnet war und wir freien Blick auf die Organe im Becken hatten, stand fest, dass es sich bei der Brandleiche um einen Mann handelte: Tief im Becken, unterhalb des Schambeins, kam die Vorsteherdrüse, die Prostata, zum Vorschein. Damit stand zwar das Geschlecht des Toten fest, identifiziert war er damit aber noch nicht.
Der Assistent reichte mir Lunge, Bronchien und Luftröhre auf den Organtisch. Für den Laien ist es oft schwer, in den realen Organen die Struktur zu erkennen, wie man sie aus Medizin- und Anatomiebüchern kennt. Sind die Organe jedoch vom Blut gereinigt, sehen sie nicht viel anders aus als die Abbildungen in den Büchern. Vorausgesetzt natürlich, sie sind nochintakt und der Leichnam ist nicht zu stark fäulnisverändert.
Ich schnitt Luftröhre und Bronchien auf dem Organtisch mit einer Schere auf und sah sofort die schlierenartigen Ablagerungen auf der inneren Schleimhaut, bei denen es sich um die bewussten Rußpartikel handelte.
Zum
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