Dem Tod auf der Spur
Gesicht des Mannes: Ober- und Unterkiefer waren unnatürlich (wir sprechen auch von »widernatürlich«) beweglich. Es fühlte sich beim Abtasten des Mittelgesichtes und Kinns des Toten so an, als hätte er dort unter der Haut zusätzliche Gummischarniere im Gesicht. Die Unterlippenschleimhaut war im Bereich ihrer Umschlagsfalte zum Zahnfleisch hin gequetscht und stark eingeblutet, in dem Blut in der Mundöffnung schwammen mehrere Zähne. Auch die Nase des Mannes war widernatürlich beweglich, was für eine Fraktur des knöchernen Nasenskeletts sprach. Das Gesicht des Mannes sah so aus, als sei es mit einem Vorschlaghammer bearbeitet worden. Die rechte Ohrmuschel war blutverschmiert, und beim Drehen des Leichnams sickerte Blut aus dem rechten Gehörgang. Letzteres ist immer ein Hinweis darauf, dass wir es mit einem Schädelbasisbruch zu tun haben.
Derart schwere Kopfverletzungen, wie sie schon die erste oberflächliche Untersuchung des Mannes zutage förderte, findet man normalerweise bei Menschen, die durch einen Sturz aus großer Höhe oder durch anderweitige sehr massive stumpfe äußere Gewalteinwirkung, wie z.B. einen Verkehrsunfall, zu Tode gekommen sind. Ein Tod mit natürlicher Ursache hingegen kam aufgrund der massiven Kopfverletzungen nicht in Betracht. Stirbt ein Mensch z. B. an einem Herzinfarkt und stürzt dann leblos zu Boden, kann er sich dabei zwar theoretisch auch Kopfverletzungen zuziehen, aber niemals so gravierende, wie wir sie hier sahen.Was uns allerdings auch sofort auffiel, war, dass der Tote auf der Rasenfläche mehr als zehn Meter vom nächsten mehrstöckigen Wohnhaus entfernt lag und sich unter dem Toten auf der Grünfläche keine Blutspuren befanden. Hier konnte er also unmöglich nach einem Sturz gelandet sein.
Möglicherweise war der Mann ja von einem der umliegenden Häuser gesprungen und dann von jemandem auf den Rasenstreifen gezerrt worden. Aber warum? Außerdem fanden sich auf den Gehwegen und in den Vorgärten der Häuser keine Blutspuren.
Was war also geschehen? War der Mann vielleicht als Fußgänger von einem sehr schnell fahrenden Auto erfasst und auf die etwa drei Meter entfernte Rasenfläche geschleudert worden? Doch die Straße endete wenige Meter hinter dem Fundort des Mannes an einer Mauer. Es war also technisch so gut wie unmöglich, einen Pkw beim Herausfahren aus der Sackgasse so stark zu beschleunigen, dass ein angefahrener Fußgänger mehrere Meter durch die Luft geschleudert würde. Ebenso wenig schien es möglich, dass ein Autofahrer mit Vollgas in die Sackgasse hineingefahren war, den Mann angefahren hatte und dann noch kurz vor der Mauer zum Stehen gekommen war.
Die Umgebung des Leichenfundortes wurde Zentimeter für Zentimeter von den Beamten der Spurensicherung unter die Lupe genommen. Bei sehr genauem Hinsehen zeigten sich auf der Grünfläche, auf der der Tote lag, wenige Zentimeter in das Erdreich und den Rasen eingegrabene parallele Rinnen. Der Abstand der beiden Rinnen entsprach dem Abstand zwischen den beiden Füßen des Toten in seiner Auffindeposition, ihre Breite der der Schuhabsätze des Toten. Außerdem waren die Absätze deutlich stärker mit Erde und Gras verschmutzt, als es bei bloßem Herumlaufen auf einer Rasenfläche der Fall gewesen wäre. Allem Anschein nach war der Tote von der Straße auf den Grünstreifen geschleift worden. Das erklärte auch, warum seine Oberkörperbekleidung etwas hochgeschoben und hinten beschmutzt war. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen war, musste die Obduktion des Toten beantworten.
Ehe wir im Institut den Toten entkleideten und mit der äußeren Leichenschau begannen, überließen wir zunächst den Spurensicherern von der Daktyloskopie das Feld. Der Begriff Daktyloskopie kommt aus dem Griechischen ( daktylos = Finger; skopein = schauen). Die Daktyloskopie beschäftigt sich mit dem Nachweis, der Sicherstellung und dem Vergleich von Fingerabdruckspuren (umgangssprachlich »Fingerabdrücke«). Jeder Krimileser weiß, dass Tatverdächtige aufgrund von Fingerabdrücken identifiziert werden können, die sie unbedachterweise am Tatort oder an der Tatwaffe hinterlassen haben. Genauso eignet sich die Daktyloskopie dazu, unbekannte Tote anhand ihrer Fingerabdrücke zu identifizieren.
Jeder Mensch hat an den Finger- und Handinnenflächen kleinste Leisten aus Haut (Papillarleisten), die sich schon bei genauerer Betrachtung mit dem bloßen Auge und besonders gut unter einer Lupe als reliefartige Hautleisten
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