Dem Tod auf der Spur
darstellen. Die Kriminalisten profitieren davon, dass Beschaffenheit, Anordnung und Verlauf der Papillarleisten eines jeden Menschen einmalig sind. Sie verändern sich von der Geburt eines Menschen an das ganze Leben lang nicht mehr. Mittlerweile können mit der sogenannten Lifescan-Technik Fingerabdrücke auch digital, ohne Verwendung von Druckerschwärze, aufgenommen und automatisch in eine digitale Datenbank übertragen und mit hier bereits gespeicherten Fingerabdrücken verglichen werden. Das ist auch das Prinzip der neuen deutschen biometrischen Reisepässe – eine Erfassung, Auswertung und Zuordnung unserer Fingerabdrücke zu unserer Person wird elektronischinnerhalb von Sekunden möglich. George Orwell lässt grüßen…
Als die »Daktys«, wie einige Kollegen sie liebevoll nennen, abgerückt waren, um in ihrer Dienststelle die Fingerabdrücke unseres Toten mit denen in der Datei der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes zu vergleichen, begannen wir mit unseren Untersuchungen.
Der Mann war 180 Zentimeter groß und 75 Kilogramm schwer. An den rückwärtigen Körperpartien stellten wir nur sehr gering ausgeprägte, nicht mehr wegdrückbare, hellviolette Leichenflecken fest. Nur gering bzw. spärlich vorhandene Leichenflecken sind ein Hinweis auf einen lebensbedrohlichen Blutverlust des Betreffenden vor seinem Tod. Die Totenstarre des Verstorbenen war in allen großen und kleinen Gelenken kräftig ausgeprägt, Leichenfäulnis hatte hingegen noch nicht eingesetzt. Der Mann konnte also bei vorsichtiger erster Schätzung noch nicht viel länger als einen bis allerhöchstens zwei Tage tot sein. Der Abgleich der Rektaltemperatur des Toten mit der Umgebungstemperatur am Leichenfundort hatte uns, was die nähere Eingrenzung der Todeszeit des Mannes anbelangte, nicht weitergeholfen. Beide waren mit 13,4 Grad Celsius gemessen worden, was bedeutete, dass die Körperkerntemperatur des Mannes bereits der Umgebungstemperatur entsprach. Ohne existierende Differenz zwischen den beiden Parametern Körperkerntemperatur und Umgebungstemperatur können diese uns natürlich nichts zur Leichenliegezeit verraten.
Auffällig war, dass der Mann keine Augenbrauen hatte, sie waren offensichtlich erst vor kurzem abrasiertworden. Da die Identifizierung des Toten dadurch in keiner Weise erschwert wird, glaubten wir nicht, dass ein möglicher Täter sie abrasiert hatte. Das hatte der Mann wohl eher selbst getan. Abrasierte Augenbrauen finden sich in statistisch relevanter Häufigkeit bei Menschen, die an psychischen Auffälligkeiten leiden. Hieß das vielleicht, dass der Mann gar nicht getötet worden war, sondern sich selbst das Leben genommen hatte?
Die Hände des Mannes waren sehr kräftig und die Fingerkuppen stark verhornt. Offenbar hatte der Mann körperlich viel gearbeitet, vielleicht in der Landwirtschaft oder auf einer Baustelle.
Auffälliger und bedeutsamer als die starke Hornhaut an seinen Händen waren jedoch zwei Hautblasen an der Innenfläche der linken Hand (3 x 4 und 2 x 3 Zentimeter groß), die sich im Bereich von Daumenballen und Kleinfingerballen gegenüberlagen. Beide Hautblasen hatten einen geröteten Wundgrund. Bei einer der Blasen lag dieser frei, da die Haut darüber geplatzt war. Bei der anderen war die Haut noch intakt, wenn auch prall gespannt. Mit einer feinen Kanüle zogen wir etwas Flüssigkeit aus der intakten Hautblase in eine Spritze. Die Flüssigkeit war klar und gelblich, sie würde später im Labor analysiert werden, denn ihr Entzündungszellgehalt und ihr Eiweißanteil konnten uns etwas über die Vitalität der Hautblase sagen. So können wir gegebenenfalls ausschließen, dass es sich bei einer Hautblase nur um ein postmortales Artefakt handelt, z.B. um eine mit Fäulnisflüssigkeit gefüllte Blase.
Nachdem wir die Blasenflüssigkeit asserviert hatten, schnitt ich mit dem Skalpell aus beiden Hautblasen ander Innenfläche der linken Hand kleine Gewebeproben heraus und legte sie in Formalinlösung. Die spätere Laboranalyse der Blasenflüssigkeit und die mikroskopische Untersuchung der Gewebeproben bestätigten unseren Verdacht, dass es sich bei beiden Hautveränderungen um Brandblasen handelte.
Nach der äußeren und vor der inneren Leichenschau röntgten wir den Toten. Beim Röntgen des Schädels stellten wir Brüche des linken Jochbeins und des linken Augenhöhlendaches fest, ebenso war das knöcherne Nasenskelett an diversen Stellen gebrochen – man spricht von »mehrfacher
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