Dem Tod auf der Spur
Nasenbeinfraktur«. Das Röntgen des Thorax, also des Oberkörpers, verriet uns bereits, dass wir bei der Obduktion auf diverse Frakturen der Wirbelsäule und der Unterarme beiderseits stoßen würden.
Das Röntgen eines Toten oder nur von bestimmten Körperpartien vor der Obduktion ist insbesondere bei Schusstodesfällen oder bei stark polytraumatisierten Verstorbenen ein routinemäßiges Verfahren. Dadurch lassen sich deutlich sichtbare (»röntgendichte«) Fremdkörper wie Projektile, Projektilteilchen, abgebrochene Klingen oder andere Metallteilchen sowie Knochenbrüche und Schussfrakturen nachweisen bzw. ausschließen.
Die Obduktion bestätigte, was nach äußerer Leichenschau und Röntgen bereits mehr als wahrscheinlich gewesen war: Der Mann war durch massive Gewalteinwirkung gegen den Kopf zu Tode gekommen. Die Präparation der Hals- und Gesichtsweichteile zeigte, dass wir mit unserer Vermutung bei der ersten Untersuchung des Toten am Leichenfundort recht gehabthatten: Sowohl Ober- als auch Unterkiefer waren mehrfach gebrochen. Zusätzlich waren mehrere Frontzähne im Ober- und Unterkiefer herausgebrochen oder stark gelockert.
Nachdem wir das Schädeldach mit der oszillierenden Säge abgelöst und das Gehirn aus dem Schädel entnommen hatten, stellten wir insgesamt drei Berstungsbrüche des vorderen Hirnschädels und mehrere Brüche der Schädelbasis mit korrespondierenden Hirnrindenprellungsblutungen und Quetschungen des Hirngewebes fest. Zusätzlich waren das rechte und das linke knöcherne Augenhöhlendach völlig zertrümmert, und das Gehirn war in diesem Bereich nur noch eine blutunterlaufene, breiige Masse, die keine Strukturen mehr erkennen ließ.
Diese schweren Kopfverletzungen mussten zum sofortigen Tod geführt haben. Das bedeutete, dass der Mann nicht schwerverletzt, sondern bereits tot zu seinem Fundort im Berliner Stadtteil Friedrichshain geschleppt worden war. Solche Details können für das später aus einem Gerichtsprozess resultierende Strafmaß entscheidend sein. Für die spätere Strafzumessung ist nämlich wichtig, ob die vermeintliche Leiche noch gelebt hat, als sie verschleppt bzw. versteckt wurde, oder ob sie zu diesem Zeitpunkt schon tot war. Im ersten Fall kann »unterlassene Hilfeleistung« geahndet werden.
Als wir Brust- und Bauchhöhle geöffnet und die inneren Organe entnommen hatten, stellten wir fest, dass diese ausgesprochen blass waren, der Mann also tatsächlich kurz vor dem Tod eine große Menge an Blutverloren haben musste. In der Luftröhre und den Bronchien fanden wir blutig-schaumige Flüssigkeit – ein Vitalitätszeichen. Nach dem Bruch der Schädelbasis war Blut in den Rachenraum gelangt und von dem Sterbenden mit seinen letzten Atemzügen eingeatmet worden. Die blutig-schaumige Flüssigkeit in den Bronchien war neben den vital entstandenen Blutungen im Hirngewebe ein weiterer rechtsmedizinischer Beweis dafür, dass der Mann im Moment der Gewalteinwirkung gegen seinen Kopf noch gelebt hatte. Damit waren die Kopfverletzungen bewiesenermaßen die Todesursache.
Bei der Präparation der Weichteile und des Skelettsystems wird erst die Haut regelrecht »abgeschält« und dann das Unterhautfettgewebe und die Muskulatur schichtweise freigelegt, um Hämatome oder Zerreißungen in diesen Schichten festzustellen, bis schließlich die Knochen freiliegen. Diese werden dann auf eventuell vorhandene Frakturen untersucht. Die Präparation des Mannes, der scheinbar vom Himmel gefallen war, zeigte uns Frakturen mehrerer Hals- und Brustwirbelkörper, die regelrecht ineinander verschoben, also gestaucht waren, wie Eisenbahnwaggons nach der Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Zug. Auch die Ellen- und Speichenknochen beider Unterarme waren nahe dem Handgelenk gebrochen.
Die Blutalkoholbestimmung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,35 Promille. Der Mann war zum Zeitpunkt seines Todes also sehr leicht alkoholisiert gewesen. Die chemisch-toxikologische Untersuchung von Venenblut, Herzblut, Mageninhalt und Urin auf Drogen und Medikamente verlief negativ. Letzteres bedeutete, dass der Mann keine Psychopharmaka eingenommen haben konnte, zumindest nicht regelmäßig. Falls er also an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten hatte, wie wir aufgrund der abrasierten Augenbrauen vermutet hatten, konnte er sich nicht in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befunden haben.
Als wir mit der Obduktion fertig waren, teilte ich dem zuständigen Staatsanwalt, der die ganze Zeit
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