Dem Tod auf der Spur
schätzungsweise 600 Kilogramm Cannabis ab: Straßenverkaufswert um die drei Millionen Euro. Ein lukratives Geschäft.
Als ich von den Hochleistungs-Quecksilberdampflampen mit je 800 Watt hörte, hatte ich eine Vermutung, wie die Hautblasen an der Innenfläche von Tischkovs linker Hand entstanden sein könnten. Bei der Blasenflüssigkeit handelte es sich ausweislich der Laboruntersuchung um ein stark eiweißreiches Exsudat (entzündliche Absonderung) mit vereinzelten intakten roten Blutzellen und wenig Entzündungszellen. Das bedeutete, dass die Hautblasen zu Lebzeiten Tischkovs entstanden waren und nicht erst beim Transport der Leiche. Die mikroskopische Untersuchung der Hautblasen ergab, dass es sich um thermische Verletzungen, also Brandblasen handelte. Aufgrund ihrer »gegenüberliegenden Lokalisation an der Handinnenfläche«, wie ich es ins Protokoll diktiert hatte, war es sehr wahrscheinlich, dass Tischkov sich beim Hantieren mit einer der noch heißen Quecksilberdampflampen kurz vor seinem Tod verbrannt hatte.Tischkov war, wie die polizeilichen Ermittlungen ergeben hatten, Linkshänder gewesen.
Nahe einem der Wohnhäuser auf der Indoor-Plantage fanden die Kripoleute dann tatsächlich eine mit Sand abgedeckte Blutlache im gepflasterten Hof, unterhalb eines Flurfensters, das sich im zweiten Obergeschoss, etwa sieben Meter über dem Kopfsteinpflaster befand. Eine DNA-Untersuchung ordnete das getrocknete Blut auf dem Kopfsteinpflaster zweifelsfrei dem Toten zu.
Auffällig war, dass die angetrocknete Blutlache im Hof vier Meter von der Hauswand entfernt war – für einen Sturz aus dem Fenster sehr weit. Dafür gab es nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder war der bereits tote Tischkov mit Schwung aus dem Fenster geworfen worden, oder der Mann war mit Anlauf aus dem Flurfenster gesprungen.
Möglichkeit eins fiel aus. Erstens hätte es übermenschlicher Kräfte bedurft, um den ein Meter achtzig großen und 75 Kilogramm schweren Tischkov vier Meter weit durch die Luft zu werfen. Zweitens hatten wir bei der Obduktion aufgrund der Vitalzeichen eindeutig festgestellt, dass Tischkov zu dem Zeitpunkt, als er sich die schweren Kopfverletzungen zuzog, noch am Leben gewesen war. Das hieß, er war mit Anlauf aus dem weit geöffneten, im Übrigen auch fast bis zum Boden reichenden Flurfenster im zweiten Stock gesprungen. Um die Gewissheit zu haben, beim Sturz auch tatsächlich zu sterben, war er nach dem bei der Obduktion festgestellten Verletzungsbild nicht nur mit Anlauf, sondern auch noch mit dem Kopf zuerst gesprungen und dann mit Kopf und Gesichtspartie auf dem harten Kopfsteinpflaster gelandet. Das Pflaster hatte Gesicht und Schädel mit der Wucht eines Vorschlaghammers zertrümmert und Nase, Kiefer und Schädelbasis zerschmettert, während durch die kinetische Energie des Aufpralls die Wirbelsäule gestaucht und mehrfach gebrochen worden war. Sehr wahrscheinlich hatte Tischkov noch reflexartig versucht, den Aufschlag mit seinenausgestreckten Armen abzufangen, was dann in der Fraktur der Ellen- und Speichenknochen beider Unterarme resultierte.
Der 39-jährige Betreiber der Cannabisplantage, der über seinen illegalen Cannabisanbau ein vollständiges Geständnis ablegte, beschrieb Tischkov als schwer depressiv. Neben dem Tod seiner jüngeren Schwester, die einige Monate zuvor an Leukämie gestorben war, habe es ihm besonders zu schaffen gemacht, dass sein Asylantrag von den deutschen Behörden abgelehnt worden war und ihm die Abschiebung zurück in die Ukraine drohte. Als er den toten Tischkov in einer Blutlache im Hof gefunden habe, sei ihm sofort klar gewesen, dass seine Plantage »auffliegen« würde, wenn er einen Arzt zur Todesfeststellung oder einen Bestatter zum Abtransport der Leiche rufen würde. Also hatte der Mann den toten Tischkov in den Kofferraum seines Autos geladen und ihn in der Nacht am Ende der dunklen Sackgasse ausgeladen und auf die Rasenfläche geschleift. Im Kofferraum fanden sich dann auch Blutspuren, die mittels DNA-Abgleich dem Toten zugeordnet werden konnten.
Das Spektrum postmortaler Handlungen von Tätern nach Tötungsdelikten, von Kriminalisten und Juristen auch unter dem Begriff »Nachtatverhalten« subsumiert, ist sehr breit. Im Kapitel »Unter die Räder gekommen« habe ich von einem Fall berichtet, bei dem das Opfer eines Tötungsdeliktes von den Tätern auf einer Landstraße abgelegt worden war, weil sie einen tödlichen Fußgängerunfall vortäuschen und so den
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