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Dem Vaterland zuliebe

Dem Vaterland zuliebe

Titel: Dem Vaterland zuliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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Es war sicherlich mehr als Charisma, wenn man den Beschreibungen glauben konnte. Der Blick von Admiral Bolitho ging jedem Mann bis in die Seele. Und man wußte, dem würde man künftig folgen, egal wohin.
    Er fühlte sich plötzlich bedrückt. Bis vor kurzem war Adam Bolitho von gleichem Schnitt gewesen.
    Er sah den Waffenmeister und den Bootsmann an der Luv-Seite neben den 18-Pfündern stehen. Ihr Anblick brachte ihn schlagartig in die Gegenwart zurück. Um zwei Glasen, wenn die Freiwache gegessen hatte, sollte eine Bestrafung durchgeführt werden. Er roch den Rum in der heißen Brise, die die Segel nur kümmerlich füllte.
    Bestrafungen wurden gewöhnlich am Vormittag ausgeführt. So hatten alle Männer die Chance, das Ereignis zu verdauen, indem sie ihre Tagesration Rum tranken. Doch heute hatte der Kommandant zusätzlichen Drill an den Kanonen befohlen und hatte an Deck selber die Zeit genommen, als traue er seinen Offizieren nicht zu, jedermann klarzumachen, wie wichtig das Funktionieren der Mannschaft war.
    Wären sie mit allen Segeln oben so hart gesegelt, daß das Rigg der
Anemone
fast gebrochen wäre, hätte die Bestrafung nicht so einen Stellenwert eingenommen. Zwei Dutzend Hiebe: Für den Delinquenten hätten es leicht mehr werden können. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß man ihm – an die Gräting gebunden – den Rücken in Streifen zerlegte. Er war ein sturer Hund, ein Unterdecksprecher, ein geborener Unruhestifter. Kapitän Bolitho hätte leicht die doppelte Menge Hiebe befehlen können.
    Doch heute war alles ganz anders. Sie krochen über die glatte See, sahen nur den fernen Geleitzug und die Brigg. Da konnte eine Bestrafung wie ein Funken im Pulverfaß wirken. Das nächste Land war Santo Domingo, ein paar hundert Meilen nördlich. Der unmögliche Wind ließ sie nicht näher herankreuzen. Doch in zwei Tagen hätten sie endlich die Mona Passage erreicht. Dort würden alle Mann beim tagelangen Kreuzen endlich wieder gefordert werden.
    Hudson drehte sich um, als er einen Schatten über die Reling gleiten sah. Es war der Kommandant.
    Unfreundlich sah Adam Bolitho sie an. »Sie haben nichts Besseres zu tun, als zu quatschen, Mr. Vicary?« Er musterte den Ersten Offizier. »Ich hätte angenommen, ein Offizier, der keinen Appetit auf sein Mittagessen hat, würde etwas Sinnvolleres zu tun haben.«
    Hudson antwortete: »Wir haben lange nicht mehr miteinander reden können, Sir!«
    Er blickte dem Kapitän hinterher, der zum Kompaß schritt und dann nach oben zum müde flappenden Wimpel im Masttopp emporsah.
    Heiser meldete der Rudergänger: »Südost bei Ost, Sir, voll und bei!«
    Hudson bemerkte tiefe dunkle Schatten unter den Augen des Kapitäns. Seine Hände flatterten nervös. Er war wie jedermann lässig gekleidet, doch er trug – was ungewöhnlich war – seinen kurzen Säbel für den Nahkampf.
    Die Männer des Bootsmanns riggten die Gräting.
    Hudson entdeckte im Niedergang Cunningham, den Schiffsarzt. Als der den Kapitän an Deck bemerkte, stieg er ohne einen weiteren Blick wieder nach unten.
    Doch Adam Bolitho hatte gesehen, daß er aufgetaucht war, und sagte: »Der Chirurg hat bei mir Protest gegen die Bestrafung eingelegt, wußten Sie das?«
    »Nein, keine Ahnung, Sir!« antwortete Hudson.
    »Er sagte, daß der Mann, der schon einige Male in unserem Strafbuch und sicherlich auch schon in anderen aufgetaucht ist, krank ist. Innerlich krank ist, wegen Rum und anderer zerstörerischer Sachen. Was meinen Sie dazu, Mr. Hudson?«
    »Er hat ziemlich oft Probleme, Sir!«
    »Er gehört zum Abschaum«, entgegnete Adam Bolitho scharf. »Auf meinem Schiff dulde ich keine Aufmüpfigkeit!«
    Hudson wußte wohl, wie sehr der Kapitän sein Schiff liebte. Solch persönliche Hingabe paßte ausgezeichnet in die Legende, die die Bolithos umgab. Doch jetzt wußte er endlich, warum Adam Bolitho ihr so anhing. Die geliebte
Anemone
war alles, was er auf der Welt besaß.
    Der andere Offizier hatte die Gelegenheit genutzt und war unter Deck verschwunden. Wie schade, dachte Hudson. Wäre er oben geblieben, wäre er zu demselben Schluß gekommen. Oder doch nicht?
    Der Bootsmann kam nach achtern: »Wir sind bereit, Sir!«
    »Sehr gut, Mr. M'Crea. Binden Sie den Gefangenen an und machen Sie unten alle Decks frei.«
    Wie auf ein geheimes Signal hin, marschierten die Seesoldaten in einer Linie auf dem Achterdeck auf. Ihre Musketen mit den Bajonetten glänzten ebenso wie die Patronentaschen und die Ledergürtel. Es

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