Dem Vaterland zuliebe
spielte mit einer der schweren Goldtrossen, die die Vorhänge zurückhielten, und sah, wie die Leute auf der Straße Schutz suchten. Schwerer, alles säubernder Regen, der Dampf von den schmutzigen Kopfsteinen aufsteigen ließ und den Bäumen, die so spät im Sommer immer noch grün waren, Erfrischung bot.
Beim Umdrehen sah sie den leeren Kamin und die alten Gemälde mit Seeschlachten. Das war Richards Welt. Sie schüttelte den Kopf. Nein, diese alten Schiffe gehörten sicher nicht zu seiner Welt. Eher zur Marine seines Großvaters. Sie hatte durch Zuhören viel von Richard gelernt. Und er von ihr viel über London erfahren. Er hatte gespürt, wie viel Freude ihr dieses Lernen gemacht hatte, mehr als er je für möglich gehalten hatte.
Sie musterte sich in dem großen Spiegel und stellte sich dabei Marineoffiziere vor, die ihr eigenes Bild begutachteten, ehe sie zu irgendeinem Vorgesetzten gerufen wurden, der über ihr künftiges Schicksal entschied.
Ein einfaches grünes Kleid. Rand und Ärmel zeigten Flecken vom Regen. Dazu trug sie einen Hut mit breiter Krempe und einem passenden grünen Band. Sie hatte sich sorgfältig gekleidet, wie sie das immer tat, nicht aus Eitelkeit oder um zu blenden, sondern eher aus Trotz und um Richards willen. Sechzehn Monate war er nun schon auf See – und es schmerzte sie immer noch wie im Augenblick des Abschieds.
Der Raum war so, wie sie erwartet hatte. Unfreundlich, herausgehoben, ein Platz, an dem Entscheidungen fielen, ein Ort, an dem ein Federstrich dem Leben von Männern eine andere Richtung gab.
Sie konnte ihn sich hier vorstellen, vielleicht als sehr jungen Kapitän. Oder auch später, als Flaggoffizier. Ihre Affäre war damals schon in aller Munde. Jetzt kannte sie die ganze Welt. Sie lächelte. Doch in der Admiralität wäre niemand von ihrer Position in seinem Leben oder durch ihren Rang beeinflußbar. Wenn Richard etwas widerfuhr, würde Belinda als erste informiert werden – offiziell.
Sie hatte sich die ganzen letzten Monate über gut beschäftigt. Zuerst half sie Ferguson, dann kümmerte sie sich um ihre eigenen Anliegen. Doch jeder Tag schien wie eine Ewigkeit. Nur die Ausritte mit Tamara waren eine willkommene Abwechslung. Doch am Küstenpfad und an »Tristans Sprung« war sie seit Zenorias Tod nicht mehr gewesen.
Ein alter Diener stand nun plötzlich vor den halboffenen Türflügeln. Catherine hatte weder ihn noch das Öffnen der Tür gehört.
»Sir Graham Bethune würde Sie jetzt gern sehen, Mylady!«
Er verneigte sich leicht, als sie an ihm vorbeiging. Er war so alt, daß sie fast glaubte, seine Gelenke krachen zu hören.
Sir Graham Bethune eilte ihr zum Gruß entgegen. Es hatte ihr anfangs gar nicht behagt, daß er unter Richard einst Midshipman gewesen war. Richard hatte ihr zwar erklärt, was es mit Seniorität in der Marine auf sich hatte, aber sie hielt es immer noch für ungerecht. Er war ein Rang tiefer als Richard, und doch war er ein Lord der Admiralität und konnte Männer fallen und befördern lassen, wie es ihm gefiel.
Aber Bethune war dann doch ganz anders als erwartet.
Er war schlank und energisch und begrüßte sie mit einem herzlichen Lächeln. Plötzlich, aber auch ein wenig unwillig, verstand sie, warum Richard ihn mochte.
»Meine verehrte Lady Catherine Somervell, dies ist in der Tat eine große Ehre. Als ich hörte, daß Sie in Chelsea sind und ich Ihre kurze Nachricht erhielt, konnte ich mein Glück kaum fassen!«
Catherine nahm in dem angebotenen Stuhl Platz und musterte ihn ruhig. Er war charmant und konnte seine Neugier nicht verbergen: das Interesse eines Mannes an einer schönen Frau.
Sie sagte: »Wir in Falmouth waren sehr betroffen vom Verlust der
Anemone
! Ich dachte, wenn ich selber mit Ihnen spreche, könnte ich Neues von Ihnen erfahren – wenn es denn etwas gibt, Sir Graham!«
»Ich habe eine kleine Erfrischung vorbereiten lassen, Lady Somervell.« Er trat an seinen Tisch und läutete eine kleine Glocke. »Ja, es gibt Neues. Gestern kam etwas per Telegraph aus Portsmouth. Heute hat es ein Kurier bestätigt.« Er drehte sich um und setzte sich halb auf dem Tischrand. »Es ist, wie ich es erwartet habe. Nachdem die amerikanische Fregatte
Unity
die
Anemone
versenkt hatte, segelte sie mit all den Gefangenen, die sie übernommen hatte, davon. Sie war selber so schwer angeschlagen, daß sie den Konvoi nicht mehr verfolgen konnte. Kapitän Bolitho hat sich sehr tapfer gehalten. Das wird man würdigen!«
»Er lebt
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