Dem Winde versprochen
respektierten und bewunderten einander. Genau wie Blackraven war Redhead kein Mensch, der sich schnell mit anderen einließ, und er fragte sich, ob sein Gegenüber
außer seinem türkischen Diener überhaupt einen Vertrauten hatte.
»Was geht dir gerade im Kopf herum?«
»Ach, das übliche«, erwiderte Redhead. »Meine Patienten, die Verpflichtungen der Ärztekammer, Elisea … und ein Mord.«
»Nun, eins muss man dir lassen, Samuel, du hältst dich nie mit Kleinigkeiten auf.«
Redhead erzählte Blackraven, was dieser bereits wusste: Man hatte dem Großneffen von Martín y Álzaga, Manuel Balbastro y Álzaga, dem Sohn seiner Cousine, die Kehle durchgeschnitten. Die Leiche war vor ein paar Tagen vor der Kirche San Francisco gefunden worden.
»Und was hast du für eine Vermutung?«, fragte Blackraven. Nach einem kurzen Zögern sagte er: »Vielleicht ist es ein Racheakt der Sklaven.«
»Was hat ein junger Fatzke wie Balbastro mit den Sklaven zu tun?«
»Vergiss nicht die Geschichte mit der
El Joaquín
.«
Der Arzt sah Blackraven ungerührt an.
»Warum erwähnst du das jetzt?«
»Man darf nicht vergessen, wem dieses Sklavenschiff gehörte.«
»Álzaga«, erwiderte Redhead. »Ich habe auch schon an Rache als Motiv gedacht.«
»Die Sklaven sind in Aufruhr. Die aufrührerischen Gedanken des Haitianers L'Ouverture haben unsere Küsten erreicht, und zusammen mit den Rufen nach Revolution gärt es unter unseren Schwarzen.«
Sie schwiegen eine Weile. Blackraven begrüßte es, dass Redhead schweigen konnte, ohne sich unwohl zu fühlen. Es gab genug Leute, die nichts Vernünftiges zu sagen hatten und dennoch ohne Unterlass drauflosplapperten.
»Du weißt, du kannst immer auf mich zählen, Samuel«, nahm
Blackraven den Gesprächsfaden wieder auf. Redhead war überrascht und fühlte sich geschmeichelt. »Sei vorsichtig, du weißt, die Wasser des Río de la Plata sind nicht so sanft, wie sie aussehen.«
Blackraven geleitete den Arzt zurück in Siloés Zimmer. Trinaghanta flößte Polina den von Redhead verschriebenen Aufguss ein, während Melody das Kind in ihren Armen wiegte. Sie sah den Kleinen zärtlich an, fuhr mit den Lippen über seine Stirn und strahlte dabei so viel Mitleid und Sanftmut aus, dass beide wie gebannt im Türrahmen stehen blieben.
»Isaura«, flüsterte Blackraven, »komm, du solltest zu Bett gehen. Gib Siloé das Kind. Sie wird sich darum kümmern.«
Der vertraute Umgangston irritierte Redhead, und er setzte schnell seine undurchdringliche Miene auf, damit man ihm das nicht ansah. Eigentlich hätte er es sich denken können: Ein alter Fuchs wie Blackraven ließ das Jagen nicht, obwohl eine gewisse Ehrerbietigkeit im Ton ihm sagte, dass es sich in diesem Fall nicht bloß um eine Affäre handelte. Er hatte ihn in London auf dem Parkett plaudern sehen: überheblich, sich der Faszination bewusst, die er beim schwachen Geschlecht erzeugte, bisweilen ironisch, manchmal auch verdrossen. Bei diesem jungen Mädchen war das anders, als sei sie es, die die Macht über ihn hatte.
»Erlauben Sie mir, heute Nacht bei ihm zu bleiben, Exzellenz. Er hat so viel mitgemacht, mein armer kleiner Engel, er braucht viel Zuwendung. Er ist bestimmt völlig verängstigt, und seine Mutter kann nichts für ihn tun.«
»Siloé wird ihn die ganze Nacht im Arm halten und ihn hätscheln und tätscheln, nicht wahr?«
»Natürlich, Herr Roger!«
»Komm, Liebes. Du siehst müde aus. Es ist besser, wenn du heute Nacht schläfst. Du kannst morgen wieder helfen. Außerdem wacht Samuel bei Polina und dem Kleinen.«
»Ist das wahr, Doktor Redhead?« Der Arzt nickte mit einem knappen Lächeln. »Oh, wie liebenswürdig! Ich weiß nicht, was wir ohne Sie machen würden! Danke für alles.«
»Miora«, befahl Roger, »sieh nach, ob Doktor Redhead alles hat, was er braucht. Gute Nacht.«
Schweigend begaben sie sich in das obere Stockwerk. Blackraven legte den Arm um ihre Schulter, und Melody ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Plötzlich kamen ihr die Kinder in den Sinn.
»Señorita Leo hat sich ihrer angenommen. Sie schlafen schon. Komm, lass uns in mein Zimmer gehen. Eine Wanne mit lauwarmem Wasser wartet auf uns.«
»Ich möchte heute Nacht in meinem Zimmer schlafen.«
Blackraven hob die Augenbrauen.
»Roger, versteh mich doch. Was werden Señorita Leonilda und Señorita Béatrice von mir denken? Sie werden schlecht über mich reden. Ich bin sicher, sie wissen bereits alles. Sie werden sagen, dass … «
»Dass wir
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