Dem Winde versprochen
betrachtete sie von oben bis unten. Sie war über und über mit Blut bedeckt: auf Wangen, Stirn und Kinn, sogar der Rock hatte etwas abbekommen.
»Isaura«, wiederholte er, fast im Flüsterton.
Melody trat zur Seite und deutete auf die Gebärende am Boden. Es bot sich ihm ein erschütterndes Bild: Die Frau lag auf einem Leder und war am Verbluten. Eine Erinnerung, die er zu vergessen suchte, traf ihn wie eine Ohrfeige. Er erstarrte und ballte die Fäuste.
»Um Himmels willen«, flehte Melody, »hilf ihr, Roger.«
Er hob das Mädchen vom Boden auf. Trotz ihrer Schwangerschaft war sie leicht wie eine Feder. »Um Gottes willen, sie ist ja noch ein Kind!«, entfuhr es ihm. Sie war nicht älter als fünfzehn oder sechzehn.
»Miss Melody!«, rief das Mädchen und streckte die Hand aus.
Melody ergriff sie und musste schnell laufen, damit sie mit Roger Schritt halten konnte, der schon auf dem Weg zum Abhang war. Die bestürzten Wäscherinnen sahen ihnen nach.
»Ruhig, Polina, ich bin bei dir. Vertrau ihm. Er will dir helfen.«
Blackraven war klar, dass er sofort die Blutung stoppen musste, sonst wäre es bald zu spät. Das Leben wich mit jedem Tropfen dieser warmen Flüssigkeit aus ihrem Körper, die ihr Nachthemd tränkte. Trinaghanta würde ratlos sein. Er musste eine Entscheidung treffen, bevor er das Haus erreichte. Er überlegte, welchen Arzt er rufen lassen könnte, denn die Mehrheit weigerte sich, Sklaven zu behandeln. Dafür waren die Heiler da. ›Samuel Redhead!‹, schoss es ihm durch den Kopf, und mit neuer Energie nahm er das letzte Stück des Weges.
Er rief nach Siloé, die sogleich in der Tür erschien und ohne Fragen zu stellen den Weg zu ihrem Zimmer wies. Er legte das inzwischen bewusstlose Mädchen auf die Pritsche und schickte Miora los, Trinaghanta zu holen. Dann ging er in den Hof hinaus und rief Servando.
»Zu Diensten, Herr Roger.«
»Folge mir.«
Sie gingen in das Haus hinein. Für Servando war das ungewohnt, denn er durfte es nur auf ausdrücklichen Befehl betreten. Auf dem Weg zum Arbeitszimmer trafen sie im Flur auf Elisea und Leonilda.
»Geht in Siloés Zimmer«, befahl Roger, ohne stehen zu bleiben. »Vielleicht braucht man dort eure Hilfe.« Dann wandte er sich an Servando: »Tritt ein!«
Sie durften keine Zeit verlieren. Er nahm einen Zettel, entzündete sein Feuerzeug, um den Lack flüssig zu machen, und drückte seinen Stempel darauf, den mit dem doppelköpfigen Adler, dem Symbol der Guermeaux.
»Du nimmst mein Pferd, das ist das schnellste, und galoppierst im Flug in die Stadt. Du suchst das Haus der Witwe Olazábal in der Calle de la Santísima Trinidad auf.«
»Ich kenne das Haus. Ich habe dort Innereien und Fleisch ausgeliefert.«
»Gut. Frag nach Doktor Samuel Redhead, der dort logiert, und gib ihm das hier. Sag ihm, es geht um Leben und Tod.«
Der Sklave wollte sich gerade auf den Weg machen, da hielt Blackraven ihn zurück.
»Nimm Fuoco für Doktor Redhead mit.«
Servando lief in den Stall, und Blackraven genehmigte sich einen Brandy, bevor er in das Zimmer der Köchin zurückging.
»Was ist los?«, fragte Somar, als er sah, dass er das Glas mit einem Zug leerte.
»Ich habe eine der Wäscherinnen in Siloés Zimmer gebracht.
Sie verblutete fast am Flussufer, während sie niederkam. Da war überall Blut.«
»Das sieht man«, sagte er und deutete auf Blackravens Hemd und Hose. »Ich vermute, Miss Melody steckt dahinter.«
»Ja. Ich habe sie am Ufer gesucht, weil sie schon wieder davongelaufen war, und da fand ich sie neben diesem armen gebärenden Geschöpf. Sie hielt ihr die Hand und flehte mich so verzweifelt um Hilfe an, als wäre es ihre eigene Schwester oder Mutter.«
Es war ungewöhnlich, dass Roger so viel redete. Somar bemerkte sogleich, dass der Vorfall ihn mehr mitgenommen haben musste, als er zugeben wollte. Anscheinend waren bei seinem Herrn alte Erinnerungen wach geworden.
»Ich sehe mal nach, wie Isaura und Trinaghanta zurechtkommen. Bleib du in der Nähe des Haupteingangs. Samuel wird bald kommen. Servando holt ihn.«
»Samuel Redhead?« Blackraven nickte. »Dann besteht ja noch Hoffnung für das Mädchen.«
Als er das Zimmer erreichte, fand er, dass zu viele Leute da waren. Er befahl Miora, Elisea und Leonilda, den Raum zu verlassen. Die Sklavin war wieder bei Bewusstsein; ihr Gesicht war ganz fahl, genau wie ihre Lippen, und beim Atmen hörte man ein pfeifendes Geräusch. Trinaghanta sah ihn an, um ihm verstehen zu geben, dass sie nichts tun
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