Dem Winde versprochen
Tod befragt, versicherte Lady Sommers, sie wisse nichts Genaues. Merkwürdig. Aber vielleicht hat der Herzog von Guermeaux seinen Einfluss geltend gemacht, damit der dunkle Verdacht, unter dem sein Erbe steht – seine Frau in einem Anfall von Eifersucht umgebracht zu haben –, nicht öffentlich wird.
Lady Sommers Rede wurde von einem Diener unterbrochen, der eine soeben eingetroffene Nachricht überbrachte. Entsetzen stand in ihrem Gesicht. »Wie schrecklich! Habt Ihr es schon gehört, meine Liebe? Der arme Sir Miles ist ermordet worden. In seinem eigenen Haus. Oh, mein Gott! Niemand ist mehr sicher. Morgen findet um halb elf der Trauergottesdienst auf dem Friedhof von St. George in der Uxbridge Road statt.«
Desirée bot ihr an, sie abzuholen.
Eintrag von Donnerstag, dem 26 .September 1805
Heute wurde Simon Miles beerdigt. Wir kamen zu dem Friedhof in der Nähe des Nordteiles des Hyde Parks; ich blieb auf dem Kutschbock sitzen und sah, wie der Trauerzug sich Richtung Grab entfernte. Ich sah ein paar bekannte Gesichter, auch das von Lord Bartleby, dem Chef des Außenministeriums, der genau wie wir an der Identität des Schwarzen Skorpions interessiert war. Und ich fragte mich, wie viel die britische Regierung wohl für diese Information zahlen würde.
Lady Sommers Augen unter dem Schleier nahmen den Trauerzug so fachmännisch unter die Lupe wie die Detektive der Bow Road. Desirée, die neben ihr stand, bemerkte, dass der kleine, rundliche Körper plötzlich kaum merklich vor Freude hüpfte, als sie einen auffallend großen Mann im schwarzen Anzug gewahrte; er trug keine Perücke und hatte das graumelierte Haar im Nacken zusammengebunden. Er hatte markante Gesichtszüge und man sah, dass er blaues
Blut in sich trug. »Der stattliche Mann neben Mrs.Musgrove, das ist Sir Bruce Blackraven, der Onkel des Grafen von Stoneville, nach dem Ihr gestern gefragt habt«, flüsterte Lady Sommers. Er warf eine Handvoll Erde auf den Sarg und entfernte sich dann zu einer Kutsche mit Pagen in blauer Uniform mit silbernen Fransen und Litzen. Bei dem Wappen an der Tür konnte man einen doppelköpfigen Adler erkennen.
Zum Glück nahm Lady Sommers die Einladung einer Freundin an, sie nach Hause zu bringen, so konnten wir Bruce Blackraven folgen. Als die Trauergemeinde sich zerstreute, hatte ich zwischen den Grabsteinen und Statuen eine große, schlanke, schwarz gekleidete Frau erspäht; eine dunkle Mantille verhüllte ihr Gesicht. Sie blieb vor Miles’ Grab stehen und warf eine rote Rose hinein, und ihr Körper bebte. Ich hätte meinen Posten zu gern verlassen, um zu ihr zu gehen und herauszufinden, wer sie war, doch da kam Desirée angelaufen und sagte, wir müssten sofort der Kutsche mit dem doppelköpfigen Adler folgen.
Wir haben ihn den ganzen Tag verfolgt, erst zu dem Club in der St. James, dem Albion, dem exklusivsten der Stadt, wo er stundenlang blieb, und dann spazierte er – seine Kutsche folgte ihm im Schritttempo – bis zu einem Haus in der Birdcage Road gegenüber vom St. James’s Park, das ihm wohl gehören musste, denn er hatte einen Schlüssel. Als wir wieder in unserem Appartement in der Belgrave Road waren, bestellten wir Rupert und Peter ein. Wir hatten einen Auftrag für sie.
Eintrag von Samstag, dem 28 .September 1805
Gestern gegen Mittag befand sich die Brieftasche von Sir Blackraven bereits in den Händen der beiden Diebe, und Desirée putzte sich heraus, um in dem Haus in der Birdcage Road vorstellig zu werden. Sie hatte ein eher einfaches grünes Kleid mit hohem Kragen und Spitzenborte gewählt. Es öffnete ihr ein Hausdiener in derselben blausilbernen
Uniform, wie sie die Pagen der Kutsche getragen hatten. Desirée gab ihm ihre Karte und sagte, sie müsse Sir Blackraven sprechen. »In welcher Angelegenheit, Miss?« Er musterte sie von oben bis unten. Sie wollte gerade antworten, als sie eine weibliche Stimme aus der Eingangshalle hörte. »Wer ist da, Duncan?« Der Diener las den Namen von der Karte und sagte, die Dame wolle den Hausherrn sprechen. »Sie soll eintreten.«
Constance Trewartha stellte sich als »alte Freundin der Familie« vor. Desirée war nicht entgangen, dass sie denselben Namen trug wie die verstorbene Victoria. Constance bot ihr einen Platz an; sie war sehr liebenswürdig und hatte ein warmes Lächeln.
»Sir Blackraven ist nicht da. Er hat gerade das Haus verlassen. Aber vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.« Desirée holte die Brieftasche hervor. »Oh, das ist ja die
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