Dem Winde versprochen
von Bruce!«, sagte sie in vertrautem Ton. »Er hat sie heute Morgen verloren. Er ist gerade unterwegs, um sie zu suchen. Er glaubt, er habe sie im Club vergessen.«
Desirée erklärte, sie habe sie auf der Straße gefunden, beim Eingang eines Clubs in der St. James Road, dem Albion. Sie habe den Portier gefragt, und der meinte, sie könne Sir Bruce Blackraven gehören, der den Club als Letzter verlassen habe. Er hatte angeboten, sie ihm zurückzugeben, doch Desirée habe das lieber persönlich machen wollen und nach der Adresse gefragt.
»Wie nett von Ihnen!«, sagte Constance erfreut. »Sie haben sich extra hierher bemüht, dabei hätten Sie doch einen Boten schicken können, damit wir sie abholen. Ich bin sicher, Sir Bruce möchte Sie kennenlernen und Ihnen persönlich danken. Warum essen Sie nicht heute mit uns zu Abend?« Desirée zeigte sich geschmeichelt.
Sir Bruce Blackraven entpuppte sich nicht als steif wie die meisten Adeligen, sondern als zugänglich und humorvoll. Kaum hatte Constance sie einander vorgestellt, bedankte er sich bei Desirée für die Brieftasche. Desirée deutete an, sie habe ihn bei der Beerdigung von Simon Miles gesehen. Die Erwähnung des Namens machte ihn traurig. Er sprach voller Zuneigung von dem »lieben Jungen« und sagte,
er kenne ihn schon von klein auf, denn Miles habe früher in seinem Haus in Cornwall mit seinem Neffen Roger gespielt. »Sind Sie eine Verwandte des armen Simon?« Desirée verneinte und sagte, sie hätten sich erst seit kurzem gekannt.
Nach dem Abendessen lud Sir Bruce Blackraven sie ein, sich die Bildergalerie im Gang im ersten Stock anzusehen, wo die Porträts der Herzöge von Guermeaux und einiger herausragender Verwandter zu bewundern waren. Lachend merkte er an, dass von ihm keines zu finden sei. Es fiel sofort der Unterschied zwischen den Familienmitgliedern auf, die noch normannische Züge hatten – blasse Haut, blondes Haar, hellblaue Augen –, und denen mit ausgeprägt südländischem Äußeren.
»Das ist mein Neffe, Roger Blackraven, Graf von Stoneville, der künftige Herzog von Guermeaux. Das hier ist sein Londoner Haus.« Er war sichtlich stolz. »Befindet sich seine Exzellenz im Haus?«, fragte Desirée. Constance lachte. »Aber nein, das wäre ein echtes Wunder.«
»Was für eine schöne Frau!«, rief Desirée aus, als sie das Bild neben Blackraven sah.
»Das war die Frau meines Neffen. Victoria Blackraven. Sie starb vor ein paar Jahren bei einem Unfall.« Er wechselte schnell das Thema.
Obwohl Desirée eine meisterhafte Schauspielerin ist, traf sie das Folgende unvorbereitet. Es kam ganz zufällig und unerwartet, als sie anmerkte, Roger Blackraven und sein Vater sähen sich überhaupt nicht ähnlich. »Nein, natürlich nicht«, hatte Sir Bruce erwidert, »bei Roger schlägt das Blut der Familie seiner Mutter durch, der di Bravantes.«
Heute haben wir den ganzen Tag spekuliert, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. In dem Wissen, dass Constance die Geschichte in allen Einzelheiten kennt, haben wir beschlossen, uns in ihr Vertrauen zu schleichen, um das Rätsel zu lösen. Zum Glück ist sie durch ihre besondere Situation – sie ist die Geliebte von Sir Bruce, dessen
Gattin in Devonshire lebt – von dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Allein und ohne Freundinnen hat sie die Einladung zum Tee sogleich angenommen.
Eintrag von Samstag, dem 2 .November 1805
Heute war der große Tag. Constance ist soeben gegangen, und wir haben das Geheimnis gelüftet. Manchmal hatte ich schon geglaubt, wir würden es nie herausfinden, aber ich bin eben die Kobra.
Wir brauchten nicht lange, um das Vertrauen von Constance Trewartha zu gewinnen. Die Teenachmittage in Belgrave oder in ihrem Haus in der Birdcage Road wurden bald zu ihrem angenehmsten Zeitvertreib, und sie öffnete uns ihr Herz und erzählte mir die Geschichte der di Bravantes.
Von ihrem Großvater, Calogero di Bravante, war der kleinen Isabella nur der Ring geblieben. Als der Abschied nahte, hatte er sie beiseite genommen und ihn ihr gegeben. Jahrelang hatte sie ihn an einer Kette um den Hals getragen, weil ihre Finger noch zu dünn waren, und niemand verstand, warum das Mädchen so an diesem einfachen Schmuckstück hing.
Mit fast sieben Jahren war Isabella an den Palast in Madrid gekommen, wo ihr Vater fortan als Karl III . regierte. Im Winter des Jahres 1766 , der Frühling stand schon vor der Tür, ließ Karl III . Isabella rufen. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, schaute sie
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