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Dem Winde versprochen

Dem Winde versprochen

Titel: Dem Winde versprochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florencia Bonelli
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»Umso besser«, dachte Elisea. Sie bat darum, bei Miora und Siloé unter dem Baum bleiben zu dürfen. Melody versuchte sie zu überreden, ein Spaziergang am Fluss täte ihr gut, doch Elisea sagte, sie sei zu erschöpft. Das Grüppchen schlenderte auf den Abhang zu, und die Sklavinnen trugen das Geschirr und das Besteck in die Küche. Elisea wartete ein paar Minuten, dann verschwand sie Richtung Glockenturm und eilte die Treppen hinauf. Völlig außer Atem erreichte sie die Tür zum Turm. Ihr war schwindelig, doch ein paar starke Arme hielten sie fest.
    »Servando!«, rief sie aus.
    »Was hast du gemacht? Du bist ja leichenblass. Komm, setz dich hier auf den Strohsack.«
    »Nein!«, sagte sie leise, doch Servando drückte sie sanft hinunter.
    »Was hast du gemacht? Bist du etwa gelaufen? In deinem schwachen Zustand? Am liebsten würde ich … « Er biss sich auf die Lippe. Plötzlich tat sie ihm leid, und er versuchte, sie zu streicheln.
    »Was liest du da?«, fragte Elisea und wich seiner Berührung aus.
    Er seufzte.
    »Shakespeare?«
    »Ja, das hier.
Die geschändete Lucretia

    »Geschändet«, wiederholte Elisea. Es war das schäbigste und hässlichste Wort, das sie kannte.
    »Was hast du?«, fragte Servando erschreckt. »Du bist wieder leichenblass. Warum schließt du die Augen? Warum atmest du so schnell? Was ist los? Elisea, sprich mit mir.«
    »Nichts, nichts«, flüsterte sie. »Ich werde schon ruhiger, siehst du? Lies mir vor, los.«
    Servando starrte sie verwirrt an. Manchmal dachte er, das hohe Fieber habe ihr den Verstand geraubt. Er erkannte sie nicht mehr wieder. Das war nicht seine Elisea, das hochmütige junge Ding, in das er sich verliebt hatte. Eine andere, furchtsame und unsichere Frau war an ihre Stelle getreten.
    »Lies«, wiederholte sie.
    »
Er spricht’s, löscht mit dem Fuß die Fackel aus,
    Denn Lust und Licht sind auf den Tod entzweit.
    Hüllte Sünde sich in nächt’gen Dunkels Graus.
    Wächst mit dem Dunkel ihre Grausamkeit.
    Ein Raub des Wolfs das arme Lämmchen schreit.
    Bis es zuletzt, vom eigenen Vlies erdrückt,
    In Schmerz verstummt.«
    Elisea lauschte schweigend, mit geschlossenen Augen, den Kopf an die Wand gelehnt. Sie war in Gedanken bei Lucretia,
die Tarquinius’ Angriff ausgeliefert war. Sie hätte alles beschreiben können, was Shakespeare ausgelassen hatte. Teilweise empfand sie die Verse als tröstlich, als hätte die bedrückende Einsamkeit sich aufgelöst. Lucretia war wie eine Freundin in Gram und Kummer, jemand, der sie verstanden hätte. Sie war nicht als Einzige befleckt und entehrt.
    »
Wie aufgeschreckt ein Reh scheu um sich blickt,
    Um aufzuspüren, welchen Weg es flieh’,
    Wie, wer in ein einem Labyrinth verstrickt,
    nachsinnt, dass er dem Wirrwarr sich entzieht,
    So mit sich selbst im Widerspruch ist sie,
    Was wünschenswerter, Leben oder Tod,
    Wo Schmach dem einen wie dem anderen droht.
    Warum weinst du?«, unterbrach Servando seine Lektüre. »Was hast du?«
    Die Tränen quollen zwischen ihren Wimpern hervor und liefen über ihre Wangen. Mit geschlossenen Augen sagte sie: »An jenem Abend, als Mister Blackraven und Miss Melody geheiratet haben, habe ich auch darüber nachgedacht, ob es besser ist, zu leben oder zu sterben.«
    »Elisea, wovon sprichst du?«
    »Ich habe mich geekelt, mein Körper ekelte mich an. Ich wollte ihn loswerden.«
    »Das musst du mir erklären, das verstehe ich nicht. Du machst mich verrückt mit deinen Umschweifen! Ekelt es dich vor mir?«
    Elisea riss die Augen auf und sah Servandos Gesicht direkt vor sich, aufgebracht, verwirrt. »Mein Servando! Du bist auch ein Opfer der Schmach, die ich erdulden musste, weil ich dich mit meiner Zurückweisung und meinem Schweigen habe leiden lassen.«
    »Elisea, um Himmels willen! Erkläre mir das endlich, oder ich muss denken, du hättest den Verstand verloren.«
    »Nachdem wir uns an jenem Abend vor der Tür dieses Turms
verabschiedet hatten, bin ich zum Haus gelaufen. Ich hatte extra den Riegel der Tür des Musikzimmers offen gelassen, damit ich später zurückkommen konnte. Ich habe das Musikzimmer jedoch nie erreicht. Vorher wurde ich das Opfer eines brutalen Überfalls.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und weinte.
    »Elisea!« Servando sank auf die Knie und umarmte sie.
    »Bitte, zwing mich nicht, es zu erklären! Hab Erbarmen! Scham und Ekel lähmen meine Zunge. Ich kann dir nicht erzählen, was ich an jenem Abend erlebt habe, sonst bricht es mein Herz ein zweites

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