Dem Winde versprochen
einschüchternde Wirkung auf andere, damit musst du dich abfinden.«
»Heute Morgen habe ich deine Miss Melody kennengelernt. Sie war in keiner Weise eingeschüchtert.«
»Heute Nachmittag wollte ich euch einander vorstellen, beim Tee. Hast du gesehen, was sie für ein Engel ist?«
»Dein Engel hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Engländer verachtet.«
»Ja, stimmt. Soweit ich weiß, war es ihr Vater, ein Ire, der ihr diese Abneigung gegen die Deinen eingeimpft hat. Als sie vor einiger Zeit hörte, dass nicht Valdez e Inclán, sondern ein Engländer ihren Lohn bezahlt, hätten wir sie beinahe verloren.«
»Wie bedauerlich!«, spöttelte Blackraven.
»Roger«, echauffierte sich Béatrice. »Miss Melody hat wieder Freude in mein und Víctors Leben gebracht. Der Junge bekommt eine gute Ausbildung, und außerdem hat er immer seltener diese unseligen Anfälle. Reicht dir das nicht?«
»Doch, natürlich.«
»Ich weiß, dass Doña Bela und Alcides anderer Ansicht sind, deshalb hielt ich es für angebracht, für etwas Abstand zu sorgen und ein wenig Zeit hier in Retiro zu verbringen.«
»Wer ist dieses Mädchen?«, murmelte Blackraven vor sich hin. »Was wissen wir von ihr? Nichts, vermute ich.«
»Roger, bitte. Sie ist eine arme Waise, die sich um ihren kranken Bruder kümmert.«
»Wie eine arme Waise sieht sie nicht aus.«
»Das ist sie aber.«
»Alcides hat sie als ›Wirbelwind‹ bezeichnet.«
»Nun, du wirst sehen, Miss Melody
ist
ein Wirbelwind. Das hat Alcides richtig erkannt. Du hast ja schon feststellen können, wenn auch nur oberflächlich, was sie in diesem Haus bewegt hat. Du musst wissen, als wir vor zwei Monaten hier ankamen, waren deine Verwalter vollkommen betrunken. Es ging drunter und drüber: Die Tiere waren nicht gefüttert, das Gras nicht geschnitten, der Garten verwildert, die Gemüsebeete ein einziges Dickicht, und die Sklaven irrten umher wie arme Seelen im Fegefeuer. Auf diesen schönen Samtsesseln, auf denen wir jetzt sitzen, pickten die Hühner herum. Du hättest sehen sollen, wie Miss Melody alles in Ordnung brachte. Ein lohnendes Schauspiel. Nicht einmal ein preußischer General hätte das so tadellos und effizient erledigt.«
»Und Don Bustillo?«, fragte Roger interessiert, »hat er sich darein gefügt, dass ihm ein junges Mädchen Befehle erteilt?«
»Don Bustillo musste erst einmal um sein Leben kämpfen.« Béatrice hielt sich die Hand vor den Mund, um das Lachen zu verbergen. »Miss Melody und Servando, einer deiner neuen Sklaven, haben ihn zu der Tränke im Schweinestall geschleppt und ihn komplett untergetaucht.«
Blackraven brach in Gelächter aus. »Ich muss gestehen, das hätte ich zu gerne gesehen.«
»Und jetzt respektiert Bustillo Miss Melody, als sei sie die Herrin von Retiro. Ich glaube, er fürchtet sie sogar.«
»Ich möchte mit Víctor reden«, sagte Blackraven plötzlich. »Heute Morgen haben wir kaum gesprochen. Er hing die ganze Zeit an Señorita Isauras Rockzipfel.«
»Jetzt machen er und Jimmy, Miss Melodys Bruder, ihren Mittagsschlaf. Du musst bis fünf warten.«
»Und Señorita Isaura? Hält sie auch Siesta?«
»Nein, natürlich nicht. Dafür ist sie viel zu beschäftigt. Du
wirst sie bei den Sklaven finden, im Hof bei den Ställen, oder in der Mühle, vielleicht auch auf dem Feld … « Béatrice erwähnte nicht, dass er sie auch bei den Wäscherinnen am Fluss finden konnte. »Warum nennst du sie Señorita Isaura?«
»Weil es mir so gefällt. Sie hat also die Sklaven ins Herz geschlossen.« Der ironische Unterton war unüberhörbar.
»Du wirst sehen, mein Lieber. Miss Melody hat eine ganz eigene Art, mit ihnen umzugehen, mit fast mütterlicher Geduld und Sanftheit. Obwohl sie wissen, dass Miss Melody durch ihre Geburt und ihre Stellung höher steht als sie, fühlen sie sich in ihrer Gesellschaft wohl. Sie berichten ihr von ihren Problemen und suchen bei ihr Zuflucht.«
»Ich wollte dir noch erzählen, dass ich diesmal gemeinsam mit einem Freund gereist bin«, sagte Blackraven. Béatrice wusste nicht, ob das Thema Miss Melody und die Sklaven ihn langweilte oder schlichtweg nicht interessierte.
»Wirklich?«
»Ja. Ich möchte, dass du ihn kennenlernst. Wir reden später darüber. Ich möchte an einem der nächsten Abende einen Empfang geben. Würde dir das gefallen?«
»Sehr, mein Lieber. Aber vergiss nicht, dass die Saison erst Ende März beginnt. In den Sommermonaten ziehen sich die anständigen Leute auf ihre Landhäuser
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