Dem Winde versprochen
nach ist Ihr Name keineswegs schmeichelhaft, Sir.«
Blackraven starrte sie an. Melody spürte, dass Víctor und Jimmy ihre Hände drückten und wegwollten.
»Ich bedaure, dass mein Name Ihnen nicht gefällt.«
»Hätte er so oder so nicht. Er ist englisch.«
Unverschämtheit!, dachte Blackraven bei sich. Er wusste nicht, ob er wütend oder verletzt sein sollte.
Víctor jammerte, und Jimmy verschanzte sich hinter Melody und umfasste ihre Taille. Der Neufundländer schlich wie eine Katze herbei, den Blick auf sie gerichtet. Neben seinem Herrn blieb er stehen und knurrte mit aufgestellten Nackenhaaren.
»Keine Angst«, befahl Melody. »Ihr dürft einem Tier nie eure Angst zeigen.«
Sie ging in die Hocke, und noch bevor Blackraven eingreifen konnte, streckte sie den Arm aus und streichelte die Schnauze des Hundes.
»Du bist aber ein schöner Kerl.«
Kurz darauf leckte der Hund zum Erstaunen seines Besitzers ihre Hand. Blackraven war wütend, doch er wusste nicht, ob es wegen der Angst war, die er ausgestanden hatte, als sie ihren Arm ausstreckte, oder wegen seines verletzten Stolzes. Irgendwie hatte dieses verflixte Mädchen es fertiggebracht, dass er sich von Anfang an wie ein Tölpel fühlte.
»Sansón, verschwinde«, brummte er. »Geh zurück ins Büro.« Und dann sagte er übergangslos in demselben missbilligenden Ton: »Víctor, willst du deinen Vormund nicht begrüßen? Komm her.«
Melody musste den Jungen förmlich zu ihm hinschieben. Zögerlich streckte Víctor eine Hand aus und Blackraven schüttelte sie kräftig.
»Wie ist es dir ergangen, Junge?«
»Sehr gut, Sir. Danke der Nachfrage.«
»Hoppla«, sagte Blackraven überrascht. »Dein Englisch ist aber seit dem letzten Mal viel besser geworden.«
»Miss Melody hat mir Unterricht gegeben, Sir.«
»Das merkt man«, murmelte Blackraven.
Langsam erzeugte der Name in ihm schlechte Laune. Seit seinem Besuch bei Valdez e Inclán war gerade mal ein Tag vergangen, und er hatte ihn schon ein Dutzend Mal gehört. Miss Melody dies, Miss Melody das. Und jetzt, da sie vor ihm stand, verspürte er das unbändige Verlangen, diesen herausfordernden, hochmütigen Ausdruck aus ihrem Gesicht zu verbannen. Doch er wusste nicht, ob er ihr dazu eine Ohrfeige geben oder sie küssen sollte. Und dass er das nicht wusste, verdarb ihm noch mehr die Laune.
»Wenn Sie uns entschuldigen wollen, Sir«, sagte Melody, und ihre eigenartige Stimme holte ihn aus seiner Trance, »es ist schon spät. Wir ziehen uns zurück.«
»Zurück? Wohin?«, herrschte er sie an.
»Zu unserem Botanikunterricht, Sir. Wir gehen in den Garten.«
Und dann nahm sie die Kinder und schritt hoch erhobenen Hauptes wortlos an ihm vorbei. Blackraven schaute ihr verblüfft nach.
Kapitel 5
Das erste Frühstück in Retiro nahm Blackraven allein mit seiner Cousine Béatrice ein. Vom Kopfende aus sah der Tisch für vierundzwanzig Personen trist aus. Das Gefühl von Leere wurde durch das Klappern des Bestecks nur noch verstärkt.
Von klein auf, in der Einsamkeit des riesigen Schlosses seines Vaters, hatte Blackraven die Gesellschaft des Dienstpersonals gesucht und mit ihnen gemeinsam in der Küche gegessen. Eine Neigung, die den Herzog von Guermeaux in Rage gebracht hatte. Später, während seiner zahllosen Seereisen, aßen an dem prächtigen Tisch von Kapitän Black, wie seine Mannschaft ihn nannte, nie weniger als fünf Offiziere. Hin und wieder lud er zur Abwechslung sogar einen von den Seeleuten ein, als Belohnung, weil er ein kniffliges Problem gelöst oder weil er im Kampf Mut gezeigt hatte, damit er als Abwechslung zu dem gewöhnlichen Essen im Unterdeck einmal das exotische des chinesischen Kochs genießen konnte. »Das ist, als werfe man Perlen vor die Säue«, hatte Peterson, sein dienstältester Offizier, ihm zugeflüstert, als er den grobschlächtigen Seemann am anderen Ende des Tisches einen Rheinwein für vierzig Pfund wie Wasser herunterstürzen sah. »Lass ihn«, hatte Blackraven gesagt. »Er weiß, dass er so etwas wie einen Göttertrank zu sich nimmt, auch wenn er dabei die Anmut eines Schweins an den Tag legt.«
Er musste schmunzeln, als er daran dachte, und schenkte dann seine Aufmerksamkeit wieder Béatrice, die mit ihren tadellosen Manieren und der interessanten Konversation stets von einem
Hauch von Noblesse umgeben war. Ja, er musste es zugeben: Er hätte zu gern diese Tigerin, die er heute Morgen auf dem Flur abgefangen hatte, an seiner Seite. Miss Melody. Er hielt den Namen
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